Flamme von Jamaika
auf, die zu den 14 Nothelfern gehörte, und betete inbrünstig. Plötzlich berührte sie jemand an der Schulter.
«Lady Juliana?»
Lena war wie vom Donner gerührt, als sie in das freundliche Gesicht der Gouverneursgattin blickte.
«Was für ein Zufall, Lady Helena, ich habe mit meiner Gesellschafterin die Abendmesse besucht. Was tun Sie hier?»
«Lassen Sie uns nach draußen gehen, dann erzähle ich es Ihnen.»
Unter einem schattigen Feigenbaum berichtete sie der Gouverneursgattin von Lord Williams und Edwards plötzlichem Tod und Trevors ungeheuerlichen Verdächtigungen. Lady Juliana war sichtlich betroffen, ersparte sich jedoch jeden Kommentar. Sie nahm nur einen Kohlestift und einen Notizblock aus ihrem Samtbeutel, worauf sie einen einzigen Namen und eine Adresse schrieb.
«Soll ich Ihnen ein Zimmer im Gästehaus reservieren lassen?», fragte sie und schaute kurz auf. «Oder benötigen Sie etwas Geld?»
«Nein … nein», beeilte sich Lena zu sagen und klopfte auf ihre Ledertasche, die sie wie einen kleinen Reisekoffer bei sich trug.
«Das ist die Adresse von einem jungen Advokaten, den ich für sehr fähig halte», erklärte Juliana und riss den Zettel vom Block. «Vielleicht kann er Ihnen weiterhelfen.»
«Danke», erwiderte Lena und nahm den Zettel entgegen. «Für alles.»
«Keine Ursache, das ist doch selbstverständlich. Wo möchten Sie denn unterkommen?»
«Ich nehme mir ein Zimmer im
King George
, und dann sehen wir weiter.»
Noch am gleichen Abend suchte Lena die Kanzlei von Maurizio Gómez auf, einem jungen Advokaten mit spanischen Wurzeln, der nach eigenen Angaben dafür bekannt war, dass er die Rechte der Sklaven vertrat.
«Da haben Sie sich aber mit einem mächtigen Feind angelegt», bemerkte der Mann mit dem dichten Schnauzbart wenig begeistert.
Nachdem er sich bereit erklärt hatte, sie auch ohne Termin zu empfangen, saß Lena nun in seinen bescheidenen Arbeitsräumen. Seine unvermittelte Bereitschaft, sie gegen einen Advokaten der Regierung zu vertreten, war wiederum einer Vorauszahlung von 20 englischen Pfund geschuldet. Lena legte das Geld ohne Zögern auf den Tisch. Er konnte es – so wie es aussah – gut gebrauchen. Sein Büro war beileibe nicht so vornehm wie das von Dr. Castlewood. Und obwohl Gómez ein gutaussehender Kerl war, ließ seine einfache Kleidung nicht auf bahnbrechende Erfolge gegen die hiesige Justiz schließen. Wobei sich seine Kundschaft nach eigenen Angaben vorwiegend aus einfachen Menschen und Gegnern der Sklaverei rekrutierte. Doch Lena ließ sich nicht beirren und knallte dem nichtsahnenden jungen Mann die gesamte Misere auf den hölzernen Anmeldetresen. Sie redete unaufhörlich, wobei sie, was Jess betraf, bei der Variante blieb, dass er nur ein harmloser Baptistenpriester war. Sie behauptete, dass er ihr nichts weiter als helfen hatte wollen, ihren Mann zu verlassen, und dass man ihm nun fälschlicherweise Aufwiegelei und einen Mord vorwarf.
«Ich habe den dringenden Verdacht, dass die Zustände im Gefängnis von Spanish Town unhaltbar sind. Vor allem was die Verhöre von Verdächtigen betrifft. Es ist anzunehmen, dass man Geständnisse unter Folter erzwingt und Menschen für Dinge beschuldigt, die sie nicht getan haben. Mir scheint, es geht nur um die privaten Interessen gut zahlender Pflanzer.»
Gómez betrachtete sie einen Augenblick lang amüsiert und brach dann in schallendes Gelächter aus.
«Was ist daran so komisch?», fragte Lena pikiert.
«Dass Sie so tun, als ob das völlig neue Erkenntnisse wären. Sind Sie so naiv, oder tun Sie nur so?» Sein Blick war plötzlich ernst. «Ihr eigener Ehemann und sein Vater waren berüchtigt dafür, dass ihnen das Geld locker saß, wenn es um die Bestechung von Politikern, Beamten und hohen Militärs ging. Ich frage mich ernsthaft, ob Sie davon nichts mitbekommen haben. Haben Sie denn nichts von Ihrem Ehemann gelernt?»
«Erstens halte ich mich erst seit knapp einem halben Jahr auf dieser Insel auf, und zweitens verfüge ich nicht über die notwendigen Mittel, um es ihm gleichzutun», erklärte sie nüchtern. «Und bevor ich Ihnen einen Vortrag über meine eigenen moralischen Grundsätze halte, schlage ich vor, dass wir zur Tat schreiten und das drohende Unheil abwenden.»
«Welches Unheil meinen Sie denn genau? Das Ihre oder das Ihres rebellischen Freundes?»
Offensichtlich hatte sie sein Interesse geweckt.
«Beides.»
Gómez pfiff leise durch seine schneeweißen Zähne.
«Sie schöpfen aber
Weitere Kostenlose Bücher