Flamme von Jamaika
geleiten. Der dunkelhäutige Muskelprotz mit den kurz geschorenen Locken trug die neue Pistole am Gürtel, die er von einem der getöteten Gefängniswächter in Spanish Town erbeutet hatte. Dabei war sein Freund und Bruder im Geiste alles andere als ein gnadenloser Mörder. Er benahm sich wie ein Lamm, wenn er sich um seine beiden Frauen und deren Töchter kümmerte. Aber wenn es um die Rettung von schwarzen Mitstreitern ging, kannte er kein Erbarmen.
Im Inneren der Höhle, in der unter anderem die Gerichtsbarkeit des Lagers ausgeübt wurde, hatten sich schon andere Rebellen versammelt, die ebenfalls mit Macheten und Pistolen bewaffnet waren.
Ein paar Frauen, unter ihnen auch Selina, servierten den Männern selbst gebrautes Bier in Holzbechern und frisch gebackenes Fladenbrot. Ein fast schon rituelles Mahl, das sie stets vor wichtigen Beratungen zu sich nahmen. Außer den Mitgliedern des Ältestenrates und den maßgeblichen Kriegern, die für die Verteidigung des Dorfes und deren Bewohner zuständig waren, hatte niemand Zugang zu dieser Zusammenkunft. Gemeinsam würden die Männer zu Gericht sitzen, die Sicherheit des Lagers erörtern und über die weitere Unterstützung von Flüchtlingen beraten.
«Was hast du denn mit Selina angestellt?», wollte Nathan von Jess wissen, nachdem die Frauen auf Anweisung von Cato, dem Oberhaupt aller Rebellen, die Höhle verlassen hatten.
Jess antwortete nicht sofort und ließ sich mit überkreuzten Beinen neben den anderen Männern, die um einen flachen Steintisch auf dem staubigen Boden saßen, nieder. Dabei schaute er interessiert in die Runde und tat so, als habe er Nathans Frage überhört.
«Sie hat dich angesehen», bemerkte Nathan, «als ob sie dich am liebsten vergiften wollte.»
«Sie möchte wohl, dass ich mit ihr eine Familie gründe und ihren Töchtern den Vater ersetze», bekannte Jess leise. «Und ich habe ihr klargemacht, dass mir in der momentanen Lage nicht der Sinn danach steht.»
«Bist du verrückt, Bruder?» Nathan schaute ihn an, als ob er den Verstand verloren hätte. «Mir müsste sie das nicht zweimal sagen. An deiner Stelle hätte ich sie schneller zur Mutter meiner Kinder gemacht, als sie davonlaufen könnte.»
«Übernimm dich nur nicht. Du hast schon zwei Frauen, und ich möchte nicht wissen, wie viele geschwollene Bäuche im Lager noch auf deine Rechnung gehen», gab Jess ihm mit einem knurrigen Unterton zur Antwort.
Nathan schien der Vorwurf nicht sonderlich zu berühren. «Ich an deiner Stelle würde mich vor Selina in Acht nehmen», riet er Jess, «ansonsten holt sie sich Hilfe bei Desdemona. Ihr Liebeszauber wird dich früher oder später noch bezwingen oder ins Jenseits schicken.»
Er lachte trocken und hustete dann, weil er unfreiwillig den Qualm seines Nebenmannes eingeatmet hatte, der mit glasigen Augen den Rauch einer Yabarana-Zigarre aus Manakarinde und getrockneten Tabakblättern inhalierte. Die Zigarren waren eines der Rauschmittel, die Desdemona mit Hilfe von anderen Frauen des Lagers herstellte. Wahrscheinlich nutzte der grauhaarige Aneas die Mischung aus Kräutern, Blüten und Wurzeln, um die Schmerzen in seinen Knochen zu lindern. Aber er war nicht der Einzige, der sich ein Pfeifchen gönnte. Auch die anderen Ratsmitglieder rauchten irgendwelche Kräuter aus Desdemonas Zauberküche.
«Lass in Gottes Namen diese verdammten Dämonen ruhen», stöhnte Jess. «Mir reicht es vollkommen, wenn ich eine Mutter habe, die sich auf die magischen Fähigkeiten dieser Hexe verlässt. Wenn ich auch noch eine Frau mein Eigen nennen würde, die zu solchen Mitteln greift, wäre meine unsterbliche Seele auf immer verloren.»
«Ich vergesse immer, dass diese Mönche auf Kuba dich zu einem strenggläubigen Katholiken verbogen haben», witzelte Nathan, der im Gegensatz zu Jess je nach Situation zu verschiedenen Göttern betete.
Jess lehnte dankend ab, als Aneas seine Zigarre an ihn weiterreichen wollte, doch Nathan langte in freudiger Erwartung zu und nahm ein paar tiefe Züge. Angeblich wirkte die Mischung entspannend und potenzsteigernd zugleich und bescherte dem, der sie regelmäßig rauchte, Schutz vor den Bleikugeln der Feinde.
Langsam kehrte Ruhe unter den Männern ein, und das Oberhaupt der Rebellen ergriff das Wort. Cato Rodriguez, ein weißhaariger Lockenkopf, der wie Jess einst aus Kuba auf die Insel gekommen war, hatte das Lager vor zwei Jahren in der Absicht begründet, entlaufenen Sklaven eine Zuflucht zu bieten. Inzwischen hatte er
Weitere Kostenlose Bücher