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Flammen der Rache

Flammen der Rache

Titel: Flammen der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon McKenna
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Ozean.
    Die Zeit verging. Es kam ihr qualvoll lange vor, ehe das Kratzen des Stifts endlich langsamer wurde und dann ganz aufhörte.
    Lily wandte sich Edie zu, die mit perplexem Blick ihre Zeichnung in Augenschein nahm. Fasziniert schauten Tam, Sveti und Liv ihr über die Schulter.
    »Und?«, fragte Lily ungeduldig. »Was ist es?«
    Edie nagte einen Moment stirnrunzelnd an ihrer Lippe. »Ich habe keine Ahnung«, bekannte sie. »Ich weiß nicht, wie ich es interpretieren soll. Vielleicht kannst du es ja.«
    Lily stand auf und realisierte peinlich berührt, dass ihre Beine so weich und zittrig waren, dass sie ihr Gewicht nicht trugen. Sie überspielte den Moment, indem sie sich auf die Knie sinken ließ und sich dann neben Edie auf den Boden hockte. »Lass es mich anschauenen.« Sie streckte ihr die Hand hin.
    Edie gab ihr den Block. Lily holte tief Luft und sah hin.
    Eine wummernde, heißkalte Dunkelheit stieg in ihr hoch und blendete alles andere aus.
    Plötzlich lag sie auf der Seite. Stimmen riefen aus weiter Ferne ihren Namen. Hände rüttelten an ihr und schlugen sie ins Gesicht. Ganz allmählich kam sie wieder zu sich. Edie und die anderen Frauen umringten sie mit ängstlichen Gesichtern.
    »Es geht mir gut«, krächzte Lily und versuchte, sich in eine sitzende Position hochzustemmen. »Bitte, entschuldigt.«
    »Ruh dich aus«, befahl Tam. »Bleib liegen und atme tief durch.«
    »Ich will es noch mal sehen.«
    Tam drückte sie nach unten. »Nein«, fauchte sie. »Ich sagte, du sollst dich ausruhen.«
    »Und ich sagte, dass ich es noch mal
sehen
will!« Lily setzte sich auf, schob Tams Hände weg und riss Sveti den Skizzenblock aus den Fingern.
    Wieder begann ihr Herz unkontrolliert zu hämmern, aber sie verlor nicht das Bewusstsein. Es war dasselbe Bild. Unverändert. Sie rieb sich die Augen, weil sie ihnen noch immer nicht traute.
    Sie sah das Gesicht einer Frau Mitte sechzig. Sie war auf eine subtile Weise schön. Markante Knochen, ein schön geformter Mund. Sie lächelte. Und ihre Augen. Großer Gott, ihre Augen. Sie schauten Lily aus dem Block heraus direkt an. Voller Zärtlichkeit und Liebe. Lily schlug die Hand vor den Mund, während Tränen über ihr Gesicht strömten.
    »Oh, mein Gott«, wisperte sie und wiegte sich vor und zurück. »Oh, mein Gott.«
    Die anderen Frauen warteten schweigend, bis Tam schließlich der Geduldsfaden riss.
    »Um Himmels willen, Lily«, herrschte sie sie an. »Wer ist das?«
    »Meine Mutter«, flüsterte sie.
    Die anderen wechselten schnelle fragende Blicke. »Deine Mutter? Wir haben nie über deine Mutter gesprochen«, sagte Tam vorsichtig. »Ist sie …«
    »Tot? Ja. Sie starb vor fast neunundzwanzig Jahren. An dem Tag, an dem ich geboren wurde.« Lily konnte die Augen nicht von dem Bild losreißen. »Sie sieht auf der Zeichnung etwa so alt aus, wie sie heute wäre. Wenn sie überlebt hätte.«
    Es folgte sprachlose Stille.
    »Bist du dir ganz sicher?«, vergewisserte Liv sich.
    Lily nickte. »Überall in unserem Haus waren Fotos von ihr. Mein Vater war Hobbyfotograf. Sie war sein Lieblingsmotiv. Als Kind habe ich diese Bilder stundenlang betrachtet. Aber es war keins dabei, auf dem sie mich direkt anzublicken schien, so als würde sie mich sehen. Oh, mein Gott.« Ihr Schniefen klang fast zornig. »Was will sie hier?«, platzte es aus ihr heraus. »Was hat sie mit all dem zu tun? Sie kennt mich doch nicht einmal!«
    Die Tränen tropften ihr vom Kinn. Lily schob den Skizzenblock weg, damit diese kostbare, erstaunliche Zeichnung keinen Schaden durch sie nahm und verwischte. Sie vergrub das Gesicht in den Händen. Eine Sturzflut von Gefühlen brach sich Bahn und überschwemmte eine Wüste, die vergessen hatte, wie sich eine Überflutung anfühlte. Es schien sinnlos zu sein, um eine Mutter zu trauern, die sie nie gekannt hatte, aber gegen diese Emotionen, die sie buchstäblich von den Füßen rissen, kam sie einfach nicht an. Die anderen Frauen bildeten einen schützenden Kokon warmer Körper um sie, sie streichelten ihren Rücken, ihre Haare.
    »Natürlich kannte sie dich«, sagte Tam.
    Lily schaute sie schniefend an. »Was?«
    »Deine Mutter. Sie kannte dich absolut. Und sie tut es noch immer.« Tam nahm Lilys Hand und legte sie auf ihren Bauch, in dem das Baby strampelnd Purzelbäume schlug. »Denkst du, ich kenne dieses kleine Mädchen nicht? Ich kenne es, und es kennt mich. Nur läuft dieses Kennen über andere Frequenzen, von denen wir glauben, wir könnten uns nicht

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