Flammen der Rache
einklinken, aber das können wir. Du hast es gerade getan. Du kennst deine Mutter. Warum würdest du sonst weinen?«
Lily lachte unter den Tränen. »Weil ich unter Stress stehe? Weil ich mich von ihr verlassen fühle?«
»Sei nicht so zynisch«, rügte Edie sie und schloss sie in die Arme, was Lily nur neue Tränen entlockte. Dann gesellte sich auch noch Sveti hinzu. Das Mädchen fühlte sich so zart an wie ein Vögelchen, aber ihre Umarmung war kraftvoll.
»Sie will dich wissen lassen, dass sie auf dich aufpasst. Dass sie dich liebt«, flüsterte sie. »Ich freue mich so für dich.«
Dann war Liv an der Reihe. Der kleine Eamon wurde zwischen ihnen eingeklemmt. Zappelnd packte er Lily an den Haaren und versuchte, sich an ihnen hochzuziehen.
Autsch
. Es folgten weitere Umarmungen, noch mehr Tränen.
Es vergingen lange Minuten, bevor Lily sich das Gesicht trocknen und ein weiteres Mal die Zeichnung studieren konnte. Sie empfand Staunen und Angst. Beinahe Ehrfurcht.
Aus unerfindlichen Gründen war ihr plötzlich leichter ums Herz, während sie an Gefühle erinnert wurde, die sie seit ihrer Kindheit nicht mehr verspürt hatte.
Tam hob Lilys Kinn an und begegnete lächelnd ihrem Blick. »Ich bin froh, dass es eine positive Erfahrung für dich war.« Sie klopfte auf ihren Bauch. »Zeit, das kleine Mädchen zu füttern. Val erwähnte etwas von Osso buco, oder? Und irgendetwas sagt mir, dass die nicht schwangeren Damen alle ein Glas Rotwein vertragen könnten.«
Lily kicherte schniefend. »Ich kann im Moment noch nicht mal an Essen denken.«
»Aber das wirst du, wenn du es riechst, vertrau mir«, sagte Liv.
Edie legte Lily den Arm um die Schultern. Lily hielt das Skizzenbuch fest an sich gedrückt, als sie in den Flur traten. »Es kommt mir vor, als hätte ich gerade zum ersten Mal Rosa und Purpur gesehen«, sagte sie. »Darf ich die Zeichnung behalten?«
»Ja, natürlich. Sie gehört dir. Lass mich nur eine Schicht Fixiermittel draufsprühen, damit sie nicht verwischt. Wenn du möchtest, lassen wir sie für dich rahmen.«
»Das wäre schön.« Ihr kamen wieder die Tränen. »Ich werde sie für alle Ewigkeit wie einen Schatz hüten.«
Die anderen Frauen tauschten entzückte Blicke.
»Jetzt hört euch das an«, bemerkte Liv sanft. »Ist das nicht wunderbar?«
»Was denn?« Perplex schaute Lily von einer zur anderen.
»Dass du von der Ewigkeit sprichst«, erklärte Edie. »Das ist ein sehr gutes Zeichen.«
»Die Ewigkeit ist lang«, wandte Tam lächelnd ein. »Da bleibt genügend Zeit für Kinder, Enkel und Urenkel.«
»Diese Zeichnung wird von Generation zu Generation weitergegeben werden«, sagte Liv. »Zusammen mit der Geschichte ihrer Vorfahrin, die über die Grenze zwischen Leben und Tod hinweg Kontakt zu ihrer Mutter aufgenommen hat, damit sie ihre schützende Hand über sie hält.«
Das war fantasievoll und sehr romantisch formuliert, doch Lily gefiel der Gedanke. Das Gefühl in ihrem Herzen war so fremd, dass sie eine Weile brauchte, um es zu benennen. Sie war sich nicht ganz sicher.
Aber es könnte Hoffnung sein.
24
Der Kaffee war so eiskalt wie er selbst. Bruno spuckte die bittere Plörre aus und wischte sich über den Mund. Er hörte, wie die anderen Männer sich leise fragten, wie sie ihm die magere Ausbeute beibringen sollten. Er biss von seinem Erdnuss-Schoko-Energieriegel ab, aber die Klumpen aus Sojaproteinen und Maissirup blieben trocken in seinem Mund liegen. Er hatte einfach nicht die Kraft zu kauen.
Bruno starrte auf die unschönen Erträge ihrer Arbeit. Drei Skelette lagen auf einer Plane, ihre Knochen mehr oder minder richtig angeordnet, denn natürlich kannte Kev die Position jedes einzelnen Knochens im menschlichen Skelett, auch wenn es Hunderte waren. Kev verfügte außerdem über einen sechsten Sinn, mit dem er einen erdverkrusteten, von Nagetieren angefressenen Mittelfußknochen von einem Zweig oder einem Stein unterscheiden konnte. Die Finger an den rechten Händen der Leichen fehlten erwartungsgemäß. Tony hatte sie abgeschnitten und an die Ranieris geschickt. Die Kleidung war längst verrottet. Sie hatten die Erde um jeden Torso durchkämmt, jedes Steinchen, jedes Sandkorn umgedreht. Kein Medaillon.
Bruno hatte unendlich viel Erde durchsucht, vor allem die um Rudys Knochen herum. Zuerst mit dem Metalldetektor, anschließend hatte er sie akribisch durch seine Finger rieseln lassen. Wieder und wieder hatte er sie durchgesiebt, bis seine Fingerkuppen wund waren.
Die
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