Flammen der Rache
zu, dass ihre Lider zitterten. Das Pulsieren der Adern an ihren Schläfen war deutlich zu sehen. Sie griff in die Tasche ihrer Cargohose und holte einen schmalen Umschlag heraus. Mit den Zähnen zog sie den Ärmel ihres Oberteils zurück. Kleine, mit roten Punkten bedeckte Papierkarten flatterten zu Boden. Einer dieser roten Punkte klebte schon an ihrem Handgelenk. Vor Lilys Augen pulte sie den letzten Punkt von einer der Karten und befestigte ihn in ihrer Ellbogenbeuge.
Schwer atmend ließ sie sich gegen die Wand sinken. Die Augen unverwandt auf Lily fixiert fasste sie nach unten und hob die heruntergefallenen Karten auf. Sie steckte sie zurück in den Umschlag.
Ihre Atmung beruhigte sich, die Venen auf ihrer Stirn traten nicht mehr hervor. Ihr Krisenzustand verebbte. Also war Zoe ein Junkie. Das überraschte Lily kein bisschen.
»Was sind das für Dinger?«, erkundigte sie sich.
Zoes blutrote Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen. »Meine kleinen Helfer.«
»Gibst du mir einen?«, fragte sie aus unerfindlichen Gründen. »Ich könnte ein wenig Hilfe vertragen.«
Zoe stieß ein kurzes, geringschätziges Lachen aus. »Eine einzige Dosis würde dich töten. Du würdest auf der Stelle an Schüttelkrämpfen verrecken.«
»Aber dir können sie nichts anhaben?«
»Wir sind anders«, erklärte Zoe hochmütig. »Wir gehören einer anderen Daseinsform an. Du würdest niemals begreifen, wie tief greifend wir verändert wurden.«
»Deformiert, meinst du«, rutschte es ihr heraus, bevor sie sich stoppen konnte.
Zoes Stiefel landete in ihrem Magen, und sie klappte wie ein Taschenmesser zusammen. Sie krümmte sich wimmernd.
»Wo bleiben deine Manieren?«, fragte Zoe. »Steh auf.«
Lily kämpfte sich hoch. Die Frau packte ihren Arm und verdrehte ihn, bis sie sich stöhnend verdrehte wie eine Bretzel, um den Schmerz zu lindern, doch es gab kein Entkommen. Jede Nervenfaser ihres Körpers schrie gepeinigt auf.
Schlurfend quälte sie sich weiter, bis Zoe ihre Zellentür öffnete und sie hindurchstieß. Die Tür fiel lautstark ins Schloss und wurde verriegelt. Lily kauerte sich zusammen, dann krabbelte sie zur Wand und ließ ihre Haare wie einen verfilzten Schleier vor ihr Gesicht fallen, um sich vor dem glotzenden Auge der grausamen Kamera zu verbergen. Sie berührte ihre nackte Fußsohle, an der eine kleine, leicht verdreckte Papierkarte klebte. Unauffällig hob sie die Karte hinter ihren Haarschleier und betrachtete sie.
Sie hatte einen von Zoes Drogenpflasterbögen. Einen vollen. Darauf klebten in Viererreihen sechzehn kleine rote Punkte, die von einer Plastikfolie geschützt wurden. Lily versteckte den Bogen in ihrer nach unten zeigenden Handfläche.
Sie hatte keine Ahnung, was sie damit anfangen sollte. Zwar hätte sie jetzt ein Mittel, um Selbstmord zu begehen, nur war das noch nie eine Option für sie gewesen. Sie war so zornig auf ihren Vater gewesen, weil er es immer wieder versucht hatte. Aber die Situation hatte sich nun dramatisch verändert.
Lily fing an zu weinen. Vor Freude, weil sie diesen winzigen Sieg hatte erringen können. Vor Entsetzen, angesichts der Vorstellung, sie zu benutzen, um den Verbrechern die Stirn zu bieten. Vor Trauer um ihren Vater, vor Angst um Bruno. Es waren zu viele Gründe, um sie zu zählen.
Ihren Schatz umklammernd rollte sie sich zu einem Ball zusammen und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Es war eine gute Übung in Selbstkontrolle. Wenn auch von dieser qualvollen, schweißtreibenden Art, die ihm nie besonders leichtgefallen war. Der Fahrer des bronzefarbenen BMW , der ihm verraten hatte, dass er Julian hieß, hielt nach etwa zehn Blocks am Straßenrand, reichte ihm eine Tüte und befahl ihm, sie sich über den Kopf zu stülpen und sich flach auf die Rückbank zu legen.
Bruno starrte auf die Tüte in der Hand des Mannes. Sie war schwarz, zerknittert und am oberen Ende mit einem Durchziehband versehen. Ebenso gut könnte er sich in sein eigenes Grab legen. Nach wenigen Sekunden zuckte Julian gleichgültig die Achseln, nahm sein Handy und hielt es sich ans Ohr.
Oh nein, nein, nein. Bruno versprach, gehorsam zu sein. Er zog sich die Tüte über den Kopf und legte sich auf den Sitz. Der Geruch der Ledersitze verursachte ihm Übelkeit. Er war ohnehin klaustrophobisch veranlagt, und nichts sehen und keine frische Luft einatmen zu können machte ihn verrückt. Es wäre leichter zu ertragen gewesen, wenn sie ihn mit einem Seil oder Isolierband gefesselt hätten. Denn so
Weitere Kostenlose Bücher