Flammen der Rache
an ihnen vorbei, während der Tag zum Leben erwachte, und Lily fühlte sich schrecklich ausgeliefert und schutzlos ohne eine Sonnenbrille oder einen Hut.
Bruno führte sie um das Gebäude herum zu einer nicht gekennzeichneten Tür. Das Schloss war kaputt, und als er sie aufzog, war der Gestank, der herausdrang, derart überwältigend, dass Bruno fluchend zurücksprang.
»Allmächtiger«, entfuhr es ihm. »Meinst du, du kannst es ein paar Minuten dort drinnen aushalten? Ich will dich nicht eine Sekunde aus den Augen lassen. Halt dir die Nase zu.«
Lily holte so tief Luft, wie sie konnte, dann trat sie zögerlich in den kleinen, übel riechenden Raum. »Das kann kein hygienischer Ort sein, um eine Wunde zu säubern.«
»Ich werde die Wunde nicht säubern.« Bruno drehte das Wasser auf. »Ich will mir nur das Blut aus dem Gesicht waschen. Es ist bestimmt besser, wenn wir keine Aufmerksamkeit erregen, meinst du nicht?«
»Irgendetwas sagt mir, dass das nicht gerade dein größtes Talent ist.«
Bruno, der sich über das kleine, schmutzige Waschbecken beugte, sah auf und begegnete ihrem Blick, während er sich das Kinn wusch. Pinkfarbenes Wasser tropfte aus seinen hohlen Händen in das Becken.
»Was für eine saublöde Bemerkung war das nun wieder?«, fragte er.
Sie verpasste sich insgeheim einen Tritt. »Es sollte keine Beleidigung sein.«
»Von wegen.« Er spritzte sich erneut Wasser ins Gesicht, bevor er sie wieder ansah. »Was weißt du schon von meinen Talenten?«
Eine Menge, nach dieser intensiven halben Stunde in der Wohnung seines verstorbenen Onkels. Lily unterdrückte ein hysterisches Kichern und flüchtete sich in ihre gut einstudierte gleichgültige Nonchalance. »Es war nur eine Feststellung«, sagte sie. »Völlig neutral.«
»Neutral, dass ich nicht lache.« Er wischte sich übers Kinn. In seinen langen schwarzen Wimpern glitzerten Wassertropfen. »An dir ist nichts neutral, Lily. Ich wette, du kennst noch nicht mal die Bedeutung des Wortes.«
Wenn sie ehrlich war, konnte sie das nicht bestreiten. Darum tat sie es auch nicht.
»Also hast du mich ausspioniert. Wie lange schon?«
Lily atmete tief durch und ballte ihre Hände zu Fäusten, um ihre flatternden Nerven zu beruhigen. »Ein paar Wochen«, bekannte sie. »Ich habe im Internet Informationen über dich gesammelt. Physisch folge ich dir jetzt seit circa einer Woche, so gut sich das ohne fahrbaren Untersatz bewerkstelligen ließ. Du warst nicht schwer zu finden, und deine Nachtschichten im Diner haben die Sache zusätzlich erleichtert.«
Bruno wischte sich mit den Händen die Feuchtigkeit aus dem Gesicht. »Der Gedanke macht mich rasend, dass du mich unter die Lupe genommen und seziert hast wie eine verfluchte Insektenkundlerin einen Käfer, um dein Urteil über mich zu fällen.«
»Ich habe kein Urteil über dich gefällt.« Zumindest kein negatives, wollte sie hinzufügen, aber angesichts seines anklagenden Blicks blieben ihr die Worte im Hals stecken.
Bruno öffnete seine Jacke und riss einen langen Streifen vom Saum seines T-Shirts ab. Er presste die Stoffbahn auf die noch immer blutende Wunde an seiner Stirn und verzog vor Schmerz das Gesicht.
In dem kalten Licht der Neonlampe kam Lily nicht umhin zu bemerken, dass das gekürzte T-Shirt mit den herabbaumelnden Fäden seine strammen Bauchmuskeln und den schimmernden Pfad dunkler Haare enthüllte, der in seine tief sitzenden Jeans mündete. Er hatte einen nach innen gekehrten Nabel, einen von diesen straffen, wie ein Augenlid geschwungenen, wie man sie hauptsächlich bei durchtrainierten Models in Fitnessmagazinen für Männer fand. Ihr waren in der Dunkelheit eine Menge erotischer Details entgangen.
Bruno taxierte sie, dann trennte er einen weiteren Streifen von seinem T-Shirt ab, sodass es gerade noch seine Rippen bedeckte. Er feuchtete ihn unter dem Wasserhahn an. »Komm her.«
Sie wich zurück. »Ich bin okay.«
»Nein, bist du nicht. Du siehst aus, als wärst du einem Splatterfilm entsprungen.« Er zog sie zu sich und machte sich daran, ihr Gesicht mit dem Stofffetzen abzutupfen.
Es fühlte sich erstaunlich gut an, wie ein Kätzchen umhegt zu werden.
»Das Blut stammt in erster Linie von mir«, informierte er sie. »Aber ich habe keine Krankheiten.«
»Ich auch nicht«, erwiderte sie. Das Knäuel in seiner Hand war rosa-grau vom Blut und Make-up. Ein Blick in den Spiegel ergab, dass sie lediglich ziemlich angeschlagen aussah und nicht wie ein auf der Straße überfahrenes
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