Flammen der Rache
ein ungeduldiges Geräusch von sich. »Jetzt spiel nicht den Naiven! Sie tauchen überall in deiner Agenda auf. Man muss nur die Augen aufsperren. Und wenn
ich
über sie gestolpert bin, kannst du deinen Arsch drauf verwetten, dass
sie
es auch getan haben. Die Informationen sind für jeden frei zugänglich – und ich bin noch nicht mal besonders gut bei so was!«
Er schaute sie so finster an, dass sie ganz zappelig wurde. »Hör auf damit, Bruno«, bat sie ihn. »Lass diesen Blick.«
»Was weißt du sonst noch?«, fragte er. »Wie war das Verhältnis zwischen gutem und schlechtem Cholesterin bei meiner letzten Blutuntersuchung? Findest du, mein Steuernachlass vergangenes Jahr war gerechtfertigt? Hast du meine SMS -Nachrichten gelesen?«
Lily seufzte. »Du hast nicht das Geringste unternommen, um mich daran zu hindern.«
»Weil mir nie in den Sinn kam, dass jemand sich dafür interessieren könnte!«
»Komm schon«, sagte Lily. »Du kannst nicht auf Dauer wütend bleiben.«
»Dass du dich da mal nicht täuschst.« Seine Stimme war hart.
»Ich habe mich bereits entschuldigt, du erinnerst dich? Und für fünf zukünftige Fauxpas gleich mit«, verteidigte sie sich. »Damit habe ich noch vier weitere gut.«
»Vergiss es. Spionage schlägt doppelt zu Buche. Vielleicht reicht das noch nicht mal.«
»Das ist nicht fair! Ich hätte es nicht getan, wenn ich nicht …«
Er legte den Finger auf ihre Lippen. »Halt den Mund. Ich muss mich stark konzentrieren, um mich ohne meine elektronische Hirnspeichererweiterung an diese Telefonnummer zu erinnern, und das kann ich nicht, wenn ich auf hundertachtzig bin. Darum sei jetzt mal still.«
»Das ist bedauerlich«, sagte sie, als er die Hand wegnahm. »Gehirnschwund, und das in so jungen Jahren. Aber man kann die grauen Zellen trainieren, zum Beispiel durch Matheaufgaben oder Kreuzworträtsel.«
Bruno wandte sich wieder dem Telefon zu. »Damit hast du schon vier verbraucht. Ich werde jetzt wählen. Anschließend suchen wir uns einen sicheren Ort und führen unser verbales Scharmützel da fort. In Ordnung?«
In nicht allzu weiter Ferne heulten Polizeisirenen. Bruno starrte in die Richtung, aus der sie kamen.
»Es scheint, als hätten sie unsere Freunde gefunden«, sagte er.
»Wir müssen von hier verschwinden«, flüsterte sie.
»Ich arbeite daran«, murmelte er. »Hör auf, mir auf den Wecker zu gehen.«
Er drehte sich abermals zum Telefon um. Sein Rücken war so breit und anmutig. Lily betrachtete das feine schwarze Leder, das sich zwischen seinen kraftvollen Schultern spannte. Vermutlich wollte er sie auf Distanz halten, indem er ihr den Rücken zukehrte, aber in ihrer momentanen angeschlagenen Verfassung kam es ihr wie eine Einladung vor.
Sie lehnte sich an ihn. Bruno versteifte sich bei dem Kontakt, entzog sich ihr jedoch nicht. Es fühlte sich gut an. Tief einatmend schmiegte sie sich fester an seinen starken Körper und saugte seinen Duft wie ein hungriger Vampir in sich auf.
Ihr kam ein Gedanke. Sie sollte ihn vorbeiziehen lassen, denn ihr fehlte die Energie für Datenverarbeitung, besonders im emotionalen Bereich. Doch sie hielt ihn fest und ließ ihn seine Schlüsse ziehen und Zusammenhänge herstellen.
Es ging um Bruno. Es fühlte sich so richtig an, wie sie gegenseitig Spitzen austeilten, sich neckten und provozierten. Mit ihm zusammen zu sein machte fast … Spaß.
Das war ziemlich krank, wenn man den Überfall bedachte, die Nahtoderfahrung, das viele Blut. »Spaß« war nicht unbedingt das Wort, mit dem man so ein Abenteuer normalerweise umschreiben würde. Sie überlegte, ob seinem Verhalten eine bewusste Strategie zugrunde lag, um zu verhindern, dass sie einen hysterischen Nervenzusammenbruch erlitt. Vorausgesetzt, er war wirklich klug und intuitiv genug, dass er sie so schnell richtig eingeschätzt hatte und wusste, wie er mit ihr umgehen musste.
Oder es war einfach reiner Zufall.
Lily kuschelte sich noch enger an ihn und versuchte dabei noch nicht mal, sein geflüstertes Telefonat zu belauschen. Sie hätte sich ohnehin keinen Reim darauf machen können, solange sie sich wie ein hirnloser Blutegel an ihn klammerte.
Sie wollte keine Antwort auf ihre halb formulierte Frage. Jede Antwort würde verstörend sein, und sie war schon verstört genug.
Bruno war nicht ihr Verbündeter, der im Schulterschluss mit ihr gegen die Mächte der Dunkelheit kämpfte. Nein, er half lediglich einem armen, bedauernswerten, verrückten Mädchen, weil es ihm leidtat.
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