Flammen des Himmels
Propheten lauthals hochleben ließ, kniete Silke nieder und betete zu Christus, seine Jünger hier auf Erden nicht zu lange warten zu lassen.
Unterdessen hielt Lothar nach jenen Bürgern in der Menge Ausschau, von denen er glaubte, dass sie sich nur deshalb den Wiedertäufern angeschlossen hatten, um die Stadt nicht verlassen zu müssen. Diejenigen, die er entdeckte, sahen aus wie begossene Pudel.
Dem, der ihm am zuverlässigsten erschien, näherte er sich und zupfte ihn am Ärmel. »Kann ich mit Euch sprechen, Herr Ramert?«
»Was willst du?«, fragte der Mann, der Lothar wegen seiner Verkleidung für eines der ortsfremden Weiber hielt, die durch ihren Fanatismus besonders auffielen.
»Was haltet Ihr vom Tod des alten und der Rede des neuen Propheten?«, fragte Lothar leise.
»Natürlich bedauere ich Bruder Matthys’ Tod und begrüße, dass Gott unseren geliebten Bruder Bockelson auserwählt hat, uns in die Zukunft zu führen«, antwortete dieser, als hätte er die Worte eingeübt.
Lothar ahnte, dass Hermann Ramert log, daher versuchte er es weiter. »Wenn eine Vorhersage falsch ist, kann es die andere dann nicht auch sein?«
Damit begab er sich auf äußerst dünnes Eis. Wenn der andere ihn den Täuferführern meldete, würde er als Nächster Knipperdollings Schwert zum Opfer fallen. Doch Lothar war es leid, nur Beobachter zu sein, wie sein Vater es von ihm gefordert hatte. Um der Menschen willen, die in der Stadt lebten und litten, musste die Herrschaft der Wiedertäufer gebrochen werden. Eine gemäßigte Bürgerschaft konnte mit dem Bischof verhandeln und ein Generalpardon für alle erwirken, die nicht zu den Spitzen des Täufertums gehörten. Lothar war sogar bereit, Bockelson, Rothmann und den anderen Anführern die Flucht zu ermöglichen, wenn es nur gelang, den Sturm auf Münster zu verhindern. Doch dazu benötigte er Verbündete.
Hermann Ramert musterte die angebliche Lotte nachdenklich. »Gott hat unsere Brüder Bockelson und Knipperdolling erleuchtet, und Gott irrt nie!«
Nach diesen Worten kehrte er Lothar den Rücken und ließ den jungen Mann als Opfer widersprüchlichster Gefühle zurück. Um mehr zu erreichen, hätte Lothar sich als Sohn des bischöflichen Rates Magnus Gardner zu erkennen geben müssen. Doch das wollte er erst tun, wenn er sicher sein konnte, von seinem Gegenüber nicht verraten zu werden.
Mittlerweile begannen die Versammelten zu singen, und etliche tanzten auf dem Platz, um ihren neuen obersten Propheten zu ehren. Selbst Bernhard Rothmann, der zuerst ein säuerliches Gesicht gezogen hatte, weil sich erneut ein Ortsfremder über ihn erhoben hatte, pries nun Jan Bockelson als den wahren Anführer ihrer Gemeinschaft. Mit ihm schwenkten viele Altbürger, die Rothmann schon seit Jahren hatten predigen hören, auf Bockelsons Seite.
Enttäuscht kehrte Lothar zu Frauke zurück, und in ihren Augen las er dieselbe Leere im Herzen, die auch er empfand. Nie war ein Ende der Täuferherrschaft näher gewesen als zu dieser Stunde. Doch mit ein paar wohlgesetzten Worten hatte Jan Bockelson van Leiden das Ruder herumgerissen und war nun anders als Jan Matthys der unangefochtene Herr der Stadt.
Bockelson hatte kein Datum für die Erscheinung Jesu Christi genannt, sondern als Voraussetzung dafür nur ein seinen Lehren gemäßes Leben gefordert. Daher konnte er auch nicht über eine falsche Prophezeiung stürzen. Nur ein bewaffneter Aufstand der gemäßigten Bürger konnte noch eine Wende herbeiführen, aber danach sah es nicht aus. Also würde es wohl zu einem Sturmangriff der bischöflichen Truppen kommen – mit all seinen schrecklichen Folgen.
4.
A uch im fürstbischöflichen Hauptquartier in Telgte wurde über Jan Matthys’ Tod gesprochen. Franz von Waldeck hatte einige seiner Berater und Feldhauptmann Wilken Steding zu sich gerufen. Zu seinem Leidwesen saß auch Jacobus von Gerwardsborn in der Runde. Für den Inquisitor war das Ende des Täuferpropheten ein Zeichen des Himmels, das es zu beachten galt. Daher richtete er auch als Erster das Wort an den Fürstbischof.
»Gott hat gesprochen und den Anführer der Ketzer in unsere Hand gegeben. Jetzt ist es Zeit, die Häresie in Münster endgültig zu beseitigen. Lasst Eure Landsknechte antreten und die Stadt erstürmen.«
»Was meint Ihr, Gardner?«, fragte Franz von Waldeck unentschlossen.
Gardner musterte den Inquisitor, bevor er sich seinem Herrn zuwandte. »Bevor wir zu den Waffen greifen, sollten wir die Stadt zur Übergabe
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