Flammen des Himmels
der durch seine Unentschlossenheit den Tod des ältesten Sohnes verschuldet hatte. Auch wären die Mutter und die Schwestern beinahe durch dessen Zaudern umgekommen.
»Was ist? Warum sagst du nichts? Ich bin dein Vater!«, fuhr Hinrichs ihn an.
Helm zuckte mit den Achseln. »Was soll ich sagen? Ich muss achtgeben, ob der Hauptmann uns den Befehl zum Ausfall erteilt.«
Hinrichs’ Gesicht lief dunkelrot an. »Du! Du nichtsnutziger … Du bist mir Gehorsam schuldig!«
»Gehorsam schulde ich meinem Hauptmann Arno und meinem König Jan. Du bist nur ein einfacher Soldat wie ich.« Mit diesen Worten kehrte Helm seinem Vater den Rücken zu.
Dieser starrte seinen Sohn an und konnte es kaum glauben, dass Helm ihn offen missachtete. Als er erneut lospoltern wollte, erinnerte er sich daran, dass die ganze Familie einschließlich seiner ersten Frau sein Haus verlassen hatte und er jetzt dort mit Katrijn und einer unansehnlichen Friesin mittleren Alters zusammenlebte. Bei dem Gedanken verspürte er mit einem Mal tiefe Sehnsucht nach einer Zeit, in der Inken, Helm, Silke, Haug und auch Frauke um ihn gewesen waren. Selbst zum Gürtelschneiden war er hier in Münster kaum mehr gekommen, und wenn er sein Handwerk ausgeübt hatte, dann nur, um die angeworbenen Söldner und die bewaffneten Bürger auszurüsten.
Da Helm nichts weiter befohlen wurde, stieg er auf die Mauer und gesellte sich zu Frauke und Lothar, die gleich etlichen anderen beobachteten, wie die Bauern und Landsknechte des Bischofs den Wall aus Erde und Weidengeflecht weiter auf die Wehranlagen zutrieben. Hinter Schanzkörben verborgene Schützen nahmen die Verteidiger auf der Mauer aufs Korn, und im Hintergrund war ein schwarzgekleideter Reiter auf einem schwarzen Maultier zu sehen.
Bei diesem Anblick schauderte es Frauke. »Kann das Gerwardsborn sein?«, fragte sie Lothar.
Dieser beschattete die Augen und spähte nach vorne. »Der Reiter sieht so aus wie der Inquisitor. Aber Gerwardsborn wollte doch nach Rom reisen und kann von dort noch nicht zurück sein.«
»Und wenn er nicht nach Rom gereist, sondern hierhergekommen ist?« Frauke spürte einen harten Knoten im Magen. Sollte der Kirchenmann dort drüben tatsächlich Jacobus von Gerwardsborn sein, so hatten die Wiedertäufer das Schlimmste zu befürchten. Bestimmt würde der Inquisitor keinen Unterschied zwischen denen machen, die hier die Macht ergriffen oder den Propheten zugejubelt hatten, und jenen, die gezwungen worden waren, Lippenbekenntnisse abzulegen.
»Ich wünschte, Münster könnte sich gegen die Belagerer behaupten«, flüsterte sie unwillkürlich.
Lothar sah sie erstaunt an, erfasste dann ihre Angst und blickte noch einmal zu dem schwarzen Reiter hinüber. Nun erkannte er ihn an seinen Gesten. Es war tatsächlich der Inquisitor, der Fraukes älteren Bruder hatte verbrennen lassen. Gerwardsborns Anwesenheit stellte gewiss ein großes Problem für den Bischof dar, denn von nun an würden auch jene Bürger aus Münster, die sich den Wiedertäufern gezwungenermaßen angeschlossen hatten, ihre Stadt mit Zähnen und Klauen verteidigen. Mit dem Bischof hätten sie verhandeln und notfalls um Gnade bitten können. Mit einem Mann wie Gerwardsborn war dies unmöglich.
»Wir hätten fliehen sollen«, sagte Lothar bitter.
Frauke wagte es nicht, noch einmal in die Richtung des Inquisitors zu sehen, sondern starrte auf die vielen Menschen, die den großen Erdwall auf die Stadt zu schaufelten. Sie sind wie die Ameisen, dachte sie. In dem Moment wurde eine Kanone auf dem Turm von Sankt Lamberti abgefeuert. Das Geschoss schlug oben in die Krone des Erdwalls ein und riss mehrere Arbeiter in Stücke. Entsetzt schloss Frauke die Augen. Als sie diese wieder öffnete, sah sie auf dem Erdwall einen Mann, der in großer Eile einen Verletzten barg.
»Draas!« Trotz seiner Soldatenkleidung hatte sie den einstigen Stadtknecht ihrer Heimatstadt erkannt. Ihn auf der Seite der Feinde zu sehen, schmerzte sie.
Auf ihren Ruf hin suchte jetzt auch Lothar nach Draas, doch der hatte den Verletzten bereits in Deckung gezogen. Sogleich setzte ein heftiger Beschuss aus Handbüchsen ein, der nicht nur den bewaffneten Bürgern, sondern auch den Zuschauern auf der Mauer galt.
Frauke stieß einen Entsetzensruf aus, als unweit von ihr Mieke Klüdemann mit einem erstickten Aufschrei zusammensank. Aus der Brust der Frau quoll es rot hervor.
»Wir müssen hier weg!«, rief Lothar und zog sie in Richtung der nächsten Treppe. Da alle
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