Flammen des Himmels
fest, dann wandte Klüdemann sich an seine Frau. »Was stehst du noch hier herum? Lass Bruder Jan ein Bett richten und sorge dafür, dass Wein und Brot auf den Tisch kommen.«
Frauke trat in dem Augenblick ein, in dem diese Worte fielen. »Herr Bockelson hat bereits gegessen.«
Das kam über ihre Lippen, ohne dass sie es eigentlich wollte.
Der Hausherr musterte sie mit einem verächtlichen Blick und erklärte seinem Gast, dass es dem Mädchen an der nötigen Ehrfurcht fehle, um getauft werden zu können. »Sie ist noch zu sehr Kind«, setzte er hinzu. »Um es offen zu sagen, glaube ich, dass sie sich nicht mehr ändern wird. Sie zählt immerhin schon siebzehn Jahre. In dem Alter muss ein Frauenzimmer wissen, was sich geziemt und was nicht!«
Bevor er Silke begegnet war, hätte Jan Bockelson wahrscheinlich ein gutes Wort für Frauke eingelegt. Nun aber nickte er uninteressiert und wechselte das Thema. »Ich habe gute Nachricht für dich, Bruder Klüdemann. Jan Matthys, unser von Gott gesegneter Prophet, erhielt eine neue Offenbarung. Die Wiederkehr Christi steht sehr bald bevor, und das Weltengericht naht. Es wird alle Ungläubigen von dieser Welt vertilgen. Für uns Erwählte aber gilt es, uns im neuen Jerusalem zu versammeln, auf dass Jesus Christus, unser Herr, uns dort in seine Scharen aufnehmen kann.«
Während Klüdemann und dessen Frau ebenso wie Inken Hinrichs und Silke förmlich an Jan Bockelsons Lippen hingen, stieg in Frauke tiefe Enttäuschung hoch. Sie hatte geglaubt, dem Mann sympathisch zu sein, weil er ihr mit dem Bierfass geholfen hatte. Doch jetzt interessierte er sich nicht mehr für sie, warf aber ihrer Schwester immer wieder begehrliche Blicke zu, die so gar nicht zu seiner frommen Botschaft passen wollten.
Das Bild, das sie sich von dem Mann gemacht hatte, bekam einen ersten Kratzer. Dennoch blieb sie im Raum und hörte zu, wie er davon berichtete, dass Gott, der Herr, dem Propheten Jan Matthys selbst befohlen habe, die Auserwählten um sich zu versammeln und das Himmelreich Christi auf Erden zu errichten.
Klüdemann umarmte Jan noch einige Male und reckte immer wieder triumphierend die Hände nach oben. »Ich danke dir, Bruder Jan, dass du mir diese Nachricht gebracht hast. Wie lange habe ich den Tag herbeigesehnt, an dem die scheinheiligen Knechte Roms und die Anhänger dieses elenden Luther in die Hölle fahren und Gott uns, den Reinen, die Erde als unser Reich übergibt!«
»Und wo soll dieses neue Jerusalem sein?« Damit stellte Frauke die Frage, die alle anderen anscheinend übersehen hatten. »Der Prophet Melchior Hoffmann glaubte es in Straßburg und fand sich dort im Kerker wieder.«
Mit einer verärgerten Bewegung wandte Bockelson sich zu ihr um. »Obwohl Melchior Hoffmann nur ein Wegbereiter des wahren Propheten war, gab er sich nicht mit seiner Bestimmung zufrieden und führte dadurch viele unserer Mitbrüder ins Verderben.«
»Ihr habt die Mitschwestern vergessen, die ebenfalls den Tod in Straßburg und anderswo erleiden mussten, Bruder Jan!«
Der Ärger ließ Frauke bissig werden. Frauen litten unter der Folter und auf dem Scheiterhaufen nicht weniger als Männer und wurden zudem, wie das Schicksal ihrer Mutter bewies, häufig das Opfer verderbter Schurken.
»Jesus Christus wird sich unserer Märtyrer annehmen und sie wieder zum Leben erwecken, so wie er Lazarus zum Leben erweckt hat. Dies gilt auch für die Frauen, die in der Blüte ihrer Jugend und mit Blüten wie eine Braut bekränzt zu uns zurückkehren werden.«
Bockelson klang so überzeugend, dass Frauke ihm gerne geglaubt hätte. Anders konnte es auch gar nicht sein, sagte sie sich. Doch da waren die Zweifel, die sie immer wieder quälten. Wenn Gott ein gnädiger Gott war, weshalb half er dann den Seinen nicht? War er aber ein strafender Gott, wie einige Propheten predigten, warum vertilgte er dann nicht jene, die seine eifrigsten Anhänger bedrängten?
»Verzeih, Bruder Jan, doch warum müssen so viele von uns sterben, obwohl sie reiner sind als alle anderen?«, fragte Frauke innerlich zerrissen.
Bockelson blickte sie mit einem schmelzenden Lächeln an, das jedoch seinen Reiz für Frauke verloren hatte. »Wer sind wir, dass wir Gottes Willen zu ergründen suchen? Er bestimmt, was geschieht, und glüht uns Auserwählte wie Eisen, auf dass wir zu dem Stahl werden, aus dem er die Klinge des reinen Glaubens schmieden kann. Der Tag ist nahe, an dem jene, die uns hassen und verfolgen, sterben werden wie die
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