Flammen des Himmels
er zuckte jedes Mal zusammen, wenn er auch nur von weitem die Kutte eines Mönchs entdeckte. Mehr denn je erschien es ihm wichtig, nicht aufzufallen, damit er nicht das Schicksal seines ältesten Sohnes, seiner Frau und seiner Töchter erleiden musste. Auch wenn er sich sagte, dass Jesus Christus auch ihn am Jüngsten Tag an der Hand nehmen und in das neue Jerusalem führen würde, so graute ihm doch davor, vorher auf eine so elende Art sterben zu müssen.
Anders als sein Vater war Helm mit dem Leben, das sie führten, zufrieden, denn ihr Hauswirt behandelte ihn besser, als sein Vater es je getan hatte. Zwar musste er auch hier mitarbeiten, aber Meister Landulf steckte ihm gelegentlich den einen oder anderen Stüver zu.
An diesem Tag stapelte Helm zusammen mit einem Knecht, der ebenfalls zu den Täufern zählte, Kisten auf dem Hof, die am nächsten Tag verladen werden mussten. Da sah er einen Fremden herankommen.
»Gott zum Gruße! Ist das das Heim des ehrenwerten Meisters Landulf?«
»Das ist es! Willst du zu ihm?« Da der Fremde schlichte Kleidung und einen staubigen Mantel trug, sprach Helm ihn wie seinesgleichen an.
Der andere nickte. »Ich wäre dir dankbar, wenn du mich zu deinem Meister führen könntest.«
»Landulf ist nicht mein Meister. Ich bin Gast in seinem Haus«, antwortete Helm, um klarzustellen, dass er sich als etwas Besseres ansah.
Dafür erntete er ein nachsichtiges Lächeln. »Dann führe mich nicht als Lehrling, sondern als Gast zu Meister Landulf.«
Helm überkam das unbestimmte Gefühl, der andere würde sich über ihn lustig machen. Daher wollte er bereits dem Knecht den Auftrag erteilen, den Fremden ins Haus zu geleiten. Der Gedanke, dass er dann die Kisten allein stapeln müsste, brachte ihn jedoch davon ab.
»Mach weiter!«, sagte er zum Knecht und forderte den Fremden auf, ihm zu folgen.
»Du bist von weit her gekommen, was?«, fragte er neugierig, erhielt aber keine Antwort.
Verärgert führte er den Mann in die Werkstatt, in der Meister Landulf eben ein Paar Schuhe besohlte. Hinner Hinrichs sortierte derweil die neu angekommenen Häute nach ihrer Güte. Es juckte ihn, ein paar besonders gute selbst zu nehmen und Gürtel daraus zu fertigen. Doch dafür hätte er die Erlaubnis der hiesigen Gilde gebraucht, und die würde er erst erhalten, wenn er die Witwe oder Erbtochter von einem der Meister heiratete. Derzeit aber erfreuten deren Ehemänner sich bester Gesundheit, und die Töchter hatten alle Brüder, so dass er, wenn er wieder in seinem eigenen Gewerbe arbeiten wollte, in eine andere Stadt würde ziehen müssen. Ohne Verbindungen und ohne jegliche Unterstützung war dies jedoch unmöglich.
Hinrichs sah auf, als sein Sohn einen hochgewachsenen Mann mit buschigem Bart hereinführte. Dieser trat auf Meister Landulf zu und streckte ihm die Hände entgegen. »Endlich sehen wir uns wieder am Ende aller Zeiten!«
»Lieber Bruder Jan – oder muss ich ehrenwerter Prophet Matthys zu dir sagen? Sei mir willkommen! Mein Herz quillt über vor Freude, dich in meine Arme schließen zu können!« Landulf ließ der Ankündigung die Tat folgen und umarmte Jan Matthys stürmisch.
Helm begriff, dass er den derzeit bedeutendsten Anführer ihrer Gemeinschaft wie einen x-beliebigen Knecht angesprochen hatte, und wich zurück. Sein Vater hingegen wollte nicht hinter Meister Landulf zurückstehen und kam auf Matthys zu.
»Seid auch mir willkommen, mein Bruder und Leiter!«
»Darf ich dir Meister Hinner Hinrichs vorstellen? Er ist einer unserer eifrigsten Mitbrüder und hat durch die Hand des Inquisitors Jacobus von Gerwardsborn fast seine ganze Familie verloren. Sie starben als Märtyrer für unseren Glauben«, klärte Meister Landulf seinen Gast auf.
Mit einer tröstenden Geste schloss Matthys nun auch Hinrichs in die Arme und strich ihm dann segnend über die Stirn. »Es wird dich erfreuen, dass du nicht mehr lange wirst warten müssen, bis deine Lieben wieder mit dir vereint sind. Beim nächsten Osterfest steigt unser Herr Jesus Christus vom Himmel, vertilgt die Ungläubigen und Heiden von dieser Welt und gründet für uns sein eigenes Königreich, über das er herrschen wird in Ewigkeit!«
»Möge Gott es geben, dass es so kommt«, antwortete Hinrichs.
Ihm behagte es wenig, Hilfsarbeiten bei Meister Landulf verrichten zu müssen. Im himmlischen Reich würde er einer der Auserwählten sein, denen die Engel Speisen vorsetzten und die in besten Samt und feinste Seide gekleidet wurden. Er
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