Flammen des Himmels
erneut füllen.
Zwar hatte Lothar ebenfalls noch Durst, traute sich aber nicht, es seinem Vater gleichzutun. Stattdessen fragte er sich, wie sich die Lage in Münster so zum Unguten hatte verändern können. Vor einem Jahr noch hatte es so ausgesehen, als käme es zu einer Einigung zwischen dem neuen Fürstbischof und dem Rat der Stadt. Doch so, wie sein Vater sich anhörte, lag diese mittlerweile in weiter Ferne.
»An allem ist dieser Rothmann schuld«, erklärte Haberkamp grimmig. »Er hetzt die Leute auf, und zwar nicht nur gegen gute Katholiken, sondern auch gegen die Lutheraner, die sich seinen Worten zufolge nicht weit genug von der römischen Lehre entfernt hätten und dadurch Gottes Gnade verlustig gegangen wären.«
»Das ist übelstes Ketzertum! Der Rat der Stadt hätte Rothmann längst einsperren und an Herrn von Waldeck ausliefern müssen.« Gardner umschloss seinen Bierkrug so fest, dass das Zinn sich verbog, und wünschte sich insgeheim, es wäre der Hals des fanatischen Predigers.
»Das hat der Rat ja auch versucht«, wandte sein Gastgeber ein. »Doch die Gilden haben ihre Männer zusammengetrommelt und beinahe das Rathaus gestürmt. Als der Rat danach Rothmann das Predigen ganz verbieten wollte, hat der Pöbel den Kerl auf den Schultern nach Sankt Lamberti getragen. Die Priester und Ratsmänner, die dies hatten verhindern wollen, wurden verprügelt und zum Teil aus der Stadt gejagt.«
Das klingt alles nicht gut, fand Lothar, wusste aber immer noch nicht, was die Zustände in Münster mit ihm zu tun hatten. Sein Vater stellte Haberkamp Fragen über Dinge, die er als enger Berater Franz von Waldecks eigentlich selbst hätte wissen müssen. Zwar sah ihr Gastgeber so aus, als wundere auch er sich darüber, aber er beantwortete jede Frage ausführlich. So erfuhr Lothar einiges über die Zustände, die derzeit in der Bischofsstadt Münster herrschten.
Alles schien sich um den Prediger Bernhard Rothmann zu drehen, der das Katholische aus Münster ausmerzen wollte. Hatte er es zuerst mit Hilfe der Lutheraner getan, so stellte er sich nun auch gegen diese, und sein Einfluss in der Stadt reichte mittlerweile aus, um die Bürgermeister und den Rat unter seinen Willen zu zwingen. Wer sich nicht beugen mochte, musste Münster verlassen.
»Seit Rothmann die Wassenberger Prädikanten holen ließ, ist alles noch schlimmer geworden«, fuhr Haberkamp fort. »Diese Kerle nehmen nun die Predigerstellen in fast allen Kirchen Münsters ein und predigen die reine Häresie. Es sollen auch schon etliche Wiedertäufer in der Stadt aufgetaucht sein.«
Bei diesen Worten hob Lothar den Kopf, um nichts zu verpassen, denn zu den Wiedertäufern gehörte auch Frauke Hinrichs. Nun wagte er es selbst, Fragen zu stellen, und bemerkte zu seiner Verwunderung, dass sein Vater nichts dagegen zu haben schien.
»Was sind das für Wiedertäufer?«
»Leute aus den Niederlanden, aber auch aus dem Bistum selbst und aus benachbarten Landstrichen. Sie verlassen auf einmal ihre Heimat und ziehen nach Münster«, erklärte Haberkamp.
»Aber warum gerade in die Bischofsstadt?«, fragte Lothar weiter.
»Das wissen die meisten dieser Ketzer wohl selbst nicht. Es heißt, Johannes Matthys aus Haarlem habe sie dazu aufgerufen.«
»Wer ist Matthys?«
Diesmal übernahm Gardner selbst die Antwort. »Einer der obersten Prediger und Führer der Wiedertäufer.«
»Es ist einer von denen, die behaupten, das Ende der Welt sei nahe, und unser Herr Jesus Christus würde bald vom Himmel herabsteigen, um die Lebenden und die Toten zu richten«, setzte Haberkamp mit deutlichem Spott hinzu.
»Nicht nur das!«, fuhr Gardner fort. »Matthys predigt auch, dass nur sie, die Wiedertäufer, von Jesus Christus in Gnaden aufgenommen würden, alle anderen Menschen jedoch verdammt seien, auf ewig in der Hölle zu braten. An so etwas können nur Narren glauben, aber leider gibt es viel zu viele davon.«
Lothar hatte sich bis jetzt nur wenig mit Theologie befasst, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass Gott die Menschen geschaffen hatte, um nur einen Bruchteil von ihnen ins Paradies aufzunehmen. Diese Meinung äußerte er auch.
Sein Vater lachte bitter auf. »Deine Ansicht ist vernünftig! Nur interessiert das Leute wie Matthys nicht. Der Kerl beruft sich auf die Sintflut und erklärt, dass Gott die Gottlosen – womit er alle außer sich selbst und seinen engsten Anhang meint – erneut vertilgen würde. Er aber sei als neuer Noah ausersehen, die Erwählten
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