Flammen über Arcadion
den erstbesten Wachmann zu werfen, als die Tür zu ihrer Zelle erneut aufging. Zu ihrer Überraschung und Enttäuschung wurde ihr Plan im gleichen Augenblick zunichtegemacht, denn statt eines Uniformierten stand diesmal der schwarze Metallberg eines Templers vor ihr. Der Helm des Mannes senkte sich leicht, als er auf die provisorische Waffe in ihrer Hand blickte.
»Was sollte das werden?«, fragte eine blecherne Männerstimme. Carya glaubte in ihr den gehässigen Tonfall dieses Burlone zu erkennen, war sich allerdings nicht ganz sicher. Der Helm hob sich wieder, und das dunkle Visier richtete sich unmittelbar auf Caryas Augen. »Jeder Widerstand ist zwecklos«, erklärte ihr der Templer. »Und jetzt komm, oder muss ich Gewalt anwenden?« Seine Hand legte sich auf den Elektroschockstab an seinem Gürtel.
Carya spürte, wie ihr Tränen der Wut in die Augen stiegen. Gegenüber diesen Templern, die mehr Maschinen als Menschen zu sein schienen, fühlte sie sich schrecklich hilflos. Es war erstaunlich, wie sich die eigene Sichtweise verändern konnte. Noch vor weniger als zwei Wochen hatte sie zu diesen Männern in ihren beeindruckenden Rüstungen staunend aufgeschaut. Mittlerweile ließ der Anblick dieser gesichtslosen Schergen des Lux Dei sie in Zittern ausbrechen.
Die Tränen wegblinzelnd trat sie vor und streckte die Arme aus. Der Templer legte ihr Handschellen an und ergriff ihren rechten Oberarm, um sie aus der Zelle zu führen. Erneut wurde Carya aus dem Kerkerbereich hinausgeleitet, diesmal allerdings ging es nicht in den Trakt hinauf, in dem die Inquisitoren ihre Zimmer hatten. Stattdessen schritt der Soldat mit ihr durch beunruhigend einsam wirkende Kellergänge. Der Stein war unverputzt, und dünne Rohre liefen unter der Decke entlang. Das Licht der in regelmäßigen Abständen angebrachten Glühbirnen wirkte eigenartig gedämpft.
»Was geschieht mit mir?«, wollte Carya wissen. »Wohin gehen wir?«
Der Templer antwortete nicht.
»He! Ich rede mit Ihnen!« Trotzig versuchte sie stehen zu bleiben und kam stolpernd aus dem Tritt, als der Soldat sie mit ungeheurer Kraft einfach weiterzerrte. Was für eine Ironie es doch war: Dieser Diener der Inquisition wirkte künstlicher und unmenschlicher als alle Invitros, die Carya bislang kennengelernt hatte – und das lag nicht nur an seiner Kampfpanzerung.
»Ich … will … wissen, wohin … ich … gebracht werde«, presste Carya angestrengt hervor, während sie sich im Griff des Soldaten wand. Dieser zog daraufhin kurzerhand seinen Schockstab und hielt ihn Carya an die Seite. Es blitzte auf, sie zuckte mit einem Aufschrei zusammen, und im nächsten Moment verloren ihre Glieder alle Kraft.
Benommen bekam sie mit, wie der Templer sie an der Hüfte packte, hochhob und den Rest des Weges mit sich trug. Eine metallene Tür öffnete sich quietschend, und Carya vernahm die undeutlichen Stimmen mehrerer Männer. Der Soldat lud sie auf einer Pritsche ab und sagte irgendetwas, das sie ebenfalls nicht richtig mitbekam. Gleich darauf traten zwei Männer in weißen Kitteln hinzu und befestigten mit geübten Handgriffen dicke Lederriemen an ihren Armen und Beinen. Auch ihre Brust und ihr Kopf wurden fixiert.
Langsam gewann sie die Kontrolle über ihre Glieder zurück. Sie begann an ihren Fesseln zu zerren – ohne Erfolg. Ihre Eingeweide zogen sich zusammen, und wie ein kaltes, schleimiges, fahl glotzendes Ungeheuer kroch die Angst aus den lichtlosen Tiefen ihres Bewusstseins empor. War jetzt der Moment gekommen, wo man versuchen würde, ihr unter Folter Wahrheiten abzuringen, die sie nicht kannte? »Was soll das?«, wandte sie sich an die Männer, die wie Ärzte aussahen, aber gewiss nicht die Heilung ihrer Patienten im Sinn hatten. »Was haben Sie mit mir vor?«
»Keine Angst, Signorina Diodato«, vernahm sie eine bekannte Stimme, und Inquisitor Loraldi trat mit kühlem Lächeln in ihr Blickfeld. »Diese Dottori sind Spezialisten darin, den Geist anzuregen und zu manipulieren. Nun wollen wir doch einmal sehen, ob in den vergessenen Winkeln Ihres Gehirns nicht doch ein paar interessante Informationen verborgen liegen. Es mag eine etwas verstörende Erfahrung sein, aber man hat mir versichert, dass Sie keinen dauerhaften Schaden nehmen werden.«
Carya wurde kalt, und ein Schauder durchlief ihren Körper. Jonan, bitte komm und hol mich hier raus …
Kapitel 36
D ie Spritze war gar nicht besonders groß, Carya hatte in ihrem Leben schon mehr als eine dieser Art gesehen.
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