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Flammen über Arcadion

Flammen über Arcadion

Titel: Flammen über Arcadion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Perplies
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die sechzig, das ein Haus weiter gewohnt hatte.
    »Beide gleichzeitig?«, fragte Carya erschrocken. Sie hatte nie viel mit ihnen zu tun gehabt, aber wenn sie sich auf der Straße über den Weg gelaufen waren, hatten sie einander stets freundlich gegrüßt. »Wie konnte das denn passieren? Gab es einen Unfall?«
    »Anscheinend«, erwiderte ihre Mutter. »Es heißt, die Heizungsanlage der Wohnung sei schadhaft gewesen. Dabei sei Gas ausgetreten und habe sie vergiftet. Sie sind beide im Schlaf gestorben.«
    Carya machte ein betroffenes Gesicht. »Wie furchtbar.«
    »Hm. Ja«, brummte ihr Vater. »Vielleicht hätten sie etwas vorsichtiger sein sollen.« Er sah aus, als wolle er noch mehr sagen, aber er verstummte. Irgendwie hatte Carya den Eindruck, dass er mit seinen Worten nicht den Umgang der Garibaldis mit ihrer Heizung gemeint hatte.
    »Was willst du damit sagen?«, fragte sie.
    Ihr Vater antwortete nicht.
    »Es gab doch solche Gerüchte«, antwortete stattdessen ihre Mutter mit bekümmerter Miene.
    »Was für Gerüchte meinst du?« Mittlerweile war Carya völlig verwirrt.
    Ihre Mutter warf einen verstohlenen Blick zu ihrem Vater hinüber.
    »Dass die Garibaldis beide Invitros waren«, sagte dieser. Er fuhr in einer unwilligen Geste mit der Hand durch die Luft. »Reden wir nicht mehr darüber. Das ist kein Gesprächsthema für den Mittagstisch. Es war ein tragischer Unfall – und damit basta.«
    Ganz so leicht wie ihr Vater konnte Carya über diese Neuigkeit allerdings nicht hinweggehen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob der Tod der beiden älteren Leute vielleicht gar kein Unfall gewesen war. Man hörte zwar nicht sehr oft davon, allerdings war es schon vorgekommen, dass Menschen künstlicher Herkunft von religiösen Eiferern umgebracht worden waren.
    Insofern verhielten sich die Invitros, die jemandem ihr Geheimnis verrieten, ziemlich leichtsinnig. Sie mussten damit rechnen, dass es ausgeplaudert würde – und wenn auch nur versehentlich. Dass viele Leute wie Signora Bacchettona dachten und die Künstlichen lieber heute als morgen von Gottes Erde getilgt sähen, war doch allgemein bekannt.
    Schweigend beendeten sie ihr Mahl.Anschließend machte Carya ihre Schulaufgaben, und gegen drei verließ sie das Haus, um sich wie verabredet mit Rajael zu treffen.
    Sie lief die Straße hinauf zu Rajaels Wohnhaus und läutete an der Tür.
    »Komm rein«, drang die Stimme ihrer Freundin aus der Gegensprechanlage.
    Carya öffnete die Tür und trat in das Treppenhaus. Der Boden war mit schmutzigbraunen Steinfliesen bedeckt und die Decke so hoch, dass man eine Leiter brauchte, um die Glühbirnen des hässlich verschnörkelten Metalllüsters auszuwechseln, der dem Raum Licht spendete.
    Eilig erklomm Carya die ausgetretenen Holzstufen der Treppe. Rajael wohnte im fünften Stock, in einem Zimmer direkt unterm Dach, und obendrein musste man an der Wohnung der mürrischen Signora Casparone vorbei, Rajaels Vermieterin. Die alte Dame beobachtete sehr kritisch, wer dort oben ein und aus ging. Auf Carya war sie aus irgendeinem Grund nicht gut zu sprechen, auch wenn diese nicht den leisesten Schimmer hatte, was sie ihr angetan haben könnte. Entsprechend wurden ihre Besuche bei Rajael meist von irgendeinem unwirschen Kommentar begleitet. Es war nicht die Art herzlicher Begrüßung, die man sich wünschte, wenn man eine Freundin besuchte.
    Heute hatte Carya Glück. Die Tür zu Signora Casparones Wohnung war geschlossen, als sie den vierten Stock passierte. Offenbar befand sich Rajaels Vermieterin außer Haus. Oder sie fühlte sich nicht wohl und verbrachte den Tag seufzend auf der Couch im Wohnzimmer. Auch das kam vor. Letztlich kümmerte es Carya nicht. Sie war dankbar für jede kleine Freude, die ihr im Alltag zuteil wurde.
    Die Tür zu Rajaels Dachkammer stand offen, als Carya eintraf. »Ich bin gleich fertig«, hörte Carya die Stimme ihrer Freundin hinter einem Wandschirm aus hellem Stoff hervordringen. Rajael hatte ihn aufgestellt, um den Bereich des Zimmers abzutrennen, in dem sie sich umkleidete und wusch. Carya verstand nicht ganz, wozu ihre Freundin einen solchen Sichtschutz benötigte. Schließlich lebte sie allein, und das Zimmer wirkte nur noch beengter durch die Teilung.
    Andererseits war beengt vielleicht der falsche Ausdruck. Eigentlich haftete dem Raum, so klein er war, etwas ausgesprochen Heimeliges und Behagliches an. Mit seiner Dachschräge, der Schlafcouch, den Sitzkissen, den dicken Kerzen auf dem Tisch unter dem

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