Flammen über Arcadion
kennenzulernen«, sagte die Frau, von der Carya annahm, dass ihr das Caffè Speranza gehörte.
»Mich ebenfalls, Signora«, erwiderte sie.
»Nenn mich Gamilia«, sagte die Frau. »Ich bin die Besitzerin dieses Cafés.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Es ist sehr hübsch.«
»Danke. Schön, dass es dir gefällt.« Gamilia legte die Hände zusammen. »Dann wünsche ich euch beiden einen schönen Nachmittag. Wenn ihr noch etwas bestellen wollt, wendet euch einfach an Ana.«
»Das machen wir«, versprach Rajael.
Kaum dass Gamilia sie verlassen hatte, beugte Carya sich vor. »Warum hast du ihr von meinem Vater erzählt?«, fragte sie leise.
Rajael deutete ein Schulterzucken an. »Ich … ich weiß gar nicht mehr. Ich glaube, Gamilia wollte wissen, wie die Arbeitsbedingungen im Tribunalpalast sind, weil sich ein Freund von ihr dort beworben hatte. Und da meinte ich, dass ich eine Freundin hätte, deren Vater dort arbeitet, und ich sie ja mal fragen könnte. Aber er hat die Stelle nicht bekommen, darum war es dann auch nicht mehr so wichtig.«
»Aha.« Irgendetwas an der ganzen Angelegenheit passte in Caryas Augen nicht zusammen, aber sie wurde von weiteren Grübeleien abgelenkt, als sich plötzlich ein Neuankömmling zu ihnen gesellte und ungefragt setzte.
Rajaels Gesicht hellte sich auf. »Tobyn. Da bist du ja.« Sie streckte beide Hände aus und ergriff die seinen, um sie kurz, aber fest zu drücken. Weitere Zärtlichkeiten tauschten sie nicht aus. Das wäre in der Öffentlichkeit nicht schicklich gewesen. Aber es war auch nicht nötig. Carya konnte an ihren Blicken sehen, was sie füreinander empfanden.
Während die beiden sich einen Moment lang nur tief in die Augen sahen, musterte Carya die neue Bekanntschaft ihrer Freundin. Tobyn war ein schlanker junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren. Er hatte die blasse Haut eines Menschen, der viel Zeit in dunklen Archiven zwischen Büchern verbrachte, aber sein halblanges Haar und die zerzauste Version eines Bartes um die Mundpartie verliehen ihm einen Hauch von Rebellentum, der so gar nicht zu einem braven Studenten passen wollte.
»Tobyn, das ist Carya. Carya, Tobyn«, stellte Rajael sie einander vor.
»Hallo Carya, ist mir ein Vergnügen.« Ein Lächeln blitzte um Tobyns Mundwinkel auf, doch es wirkte ein wenig gezwungen. Überhaupt machte er einen etwas gehetzten Eindruck. Jemand, der einem gemütlichen Nachmittag mit zwei netten Damen entgegenblickte, sah Caryas Meinung nach jedenfalls anders aus.
Auch Rajael merkte es. »Ist alles in Ordnung mit dir, Tobyn? Du wirkst … angespannt.«
Die aufgesetzte Fassade aus guter Laune fiel in sich zusammen und machte unvermitteltem Ernst Platz. »Tut mir leid, Rajael, aber es … es geht mir auch nicht so gut. Ich habe Ärger. Ich … « Er stockte und wandte sich an Carya. »Meinst du, ich könnte einen Moment mit Rajael unter vier Augen reden? Es dauert nicht lange, ich verspreche es.«
Verblüfft sah Carya ihn an. »Äh … natürlich. Ich wollte mich sowieso kurz frisch machen. Die Toiletten sind dort hinten?« Sie deutete auf eine Tür in einer dunklen Ecke des Cafés.
Rajael nickte.
Mit einem letzten verstohlenen Seitenblick auf Tobyn erhob sich Carya und verließ den Tisch. Während sie sich an den Gästen vorbei zu den Toiletten begab, runzelte sie nachdenklich die Stirn. Rajaels eigenartiger Freund hatte ziemlich besorgt gewirkt. Was mochte er bloß ausgefressen haben?
Als sie die Tür in der hinteren Ecke des Raumes erreichte, drehte sie sich um und sah zu dem Tisch zurück, an dem Rajael und Tobyn saßen. Die beiden achteten gar nicht mehr auf sie, sondern schienen in ein eiliges Gespräch vertieft. Beinahe schuldbewusst huschte Caryas Blick hinüber zur Theke, wo Gamilia Getränke einschenkte. Auch die Cafébesitzerin schaute nicht zu ihr herüber.
Mit einem raschen Schritt schob sich Carya hinter eine der halbhohen Mauern, die den Raum teilten und auf denen Topfpflanzen standen. Verdeckt durch die Pflanzen beobachtete sie Rajael und ihren Freund. Natürlich konnte sie bei dem Lärm, der im Café herrschte, nicht verstehen, was zwischen den beiden gesprochen wurde. Aber so viel wurde Carya auch ohne Worte klar: Tobyn hatte irgendetwas angestellt oder erlebt, das Rajael sichtlich beunruhigte. Zwar gab sie sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, doch die Art, wie sie unwillkürlich mit ihren Locken zu spielen begann, war für Carya ein mehr als eindeutiger Hinweis.
Tobyn beugte sich näher zu
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