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Flammen über Arcadion

Flammen über Arcadion

Titel: Flammen über Arcadion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Perplies
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für mich schießen, und jetzt ist die Inquisition hinter dir und deiner Familie her. Das habe ich nie gewollt. Alles ist schiefgelaufen. Was habe ich mir überhaupt dabei gedacht, dich mit zu Tobyns Prozess zu nehmen? Ich schiebe es auf meine Todesangst um Tobyn, aber das ist keine Entschuldigung.
    Ich hoffe, du hast meine Worte beherzigt und alle Schuld mir zugewiesen. Ich verdiene es. Sollten die Inquisitoren in meine Wohnung kommen, habe ich einen Brief für sie vorbereitet, ein Geständnis. Du hast es sicher gesehen. Ich bete, dass es mir damit gelingt, dich zu entlasten. Dennoch kann ich mich meinen Häschern nicht stellen. Dafür bin ich nicht mutig genug. Außerdem würden sie mich ohnehin töten. Dann gehe ich lieber aus eigener Entscheidung und ohne Qual.
    Ein Letztes möchte ich dir noch beichten. Ich habe mich nie getraut, es dir zu sagen, weil ich dich nicht verlieren wollte. Du warst mir eine so liebe Freundin. Aber jetzt spielt es keine Rolle mehr, und ich schulde dir die Wahrheit. Ich kenne Tobyn nicht erst seit ein paar Wochen. Wir sind gemeinsam oben im Norden aufgewachsen und haben uns schon dort geliebt. Die Umstände zwangen uns, verschiedene Wege zu gehen, aber unsere Liebe erwachte neu, als wir uns in Arcadion wiederbegegneten. Was soll das bedeuten?, fragst du dich sicher. Ich will es dir sagen. Nicht nur Tobyn war ein Invitro, liebste Carya. Ich bin auch eine. Genau wie meine »Eltern« und die Leute, zu denen ich fliehen sollte.
    Warum erzähle ich dir das, obwohl du danach vielleicht noch enttäuschter von mir bist? Ich will dir helfen. Ich muss jetzt nicht mehr fliehen, denn mein Leben ist vorbei. Aber du wirst womöglich trotz meiner Versuche, allen Schaden von dir abzuwenden, verschwinden müssen. Im Umschlag meines Tagebuchs habe ich eine Karte versteckt. Tobyn gab sie mir an dem Tag im Caffè Speranza . Wenn du ihr folgst, findest du Leute, die dir helfen werden. Zeig ihnen diesen Brief, und sie werden dich aufnehmen und beschützen. Ich hoffe, es wird nicht nötig sein. Aber sicher ist sicher.
    Und nun leb wohl, liebste Carya. Ich danke dir für deine Freundschaft – und wünschte mir, sie hätte nicht so enden müssen.
    Möge Gott dich beschützen
    Rajael
    Carya ließ den Brief sinken und holte zitternd Luft. Sie fühlte sich wie betäubt. Eigentlich hätte sie wütend auf Rajael sein sollen, weil diese sie die ganze Zeit belogen hatte. Doch stattdessen empfand sie nichts als unendliche Trauer über den Verlust der Freundin, die sich aus Schmerz und Schuldgefühlen umgebracht hatte, ohne dass ihr Opfer letzten Endes irgendetwas bewirkt hatte. Ach, Rajael, unglückliche Rajael.
    Tränen füllten ihre Augenwinkel und liefen ihr über die Wangen. Sie ließ den Brief sinken und hob die andere Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Jonan sollte nicht wissen, dass sie weinte. Sie musste lernen, stark zu sein, so wie er. Sonst würde sie ihm nur zur Last fallen bei dem, was vor ihnen lag. Und das war das Letzte, was sie wollte.
    »Alles in Ordnung?«, vernahm sie hinter sich eine besorgte Stimme.
    Verdammt, Jonan hatte sie doch gehört.
    Carya schniefte noch einmal, tupfte sich die Augen ab und drehte sich zu ihm um. »Ja, es geht schon«, erwiderte sie.
    Unbehaglich trat er näher. In den Händen hielt er ein Tablett, auf dem zwei Teller mit Wurst, Käse und Brot standen – ihr Abendessen. Sein Blick fiel auf das Blatt Papier in Caryas Schoß. »Was ist das?«
    »Ein Abschiedsbrief von Rajael.« Sie begann, ihn zusammenzufalten.
    Jonan fragte nicht, ob er ihn lesen dürfe. Carya rechnete ihm das hoch an. Sie wollte nicht, dass irgendjemand sonst ihn las. Noch nicht.
    Am Nachmittag des nächsten Tages kamen die Mitglieder der Ascherose erneut zusammen. Neben Caryas Onkel, Dino, Stephenie und Adara waren das ein bärtiger Mathematikdozent namens Ugo, eine rundliche Historikerin, die Gabriela hieß und zu Adaras Stab zu gehören schien, ein junger Journalist, eine silberhaarige Autorin mit resolutem Auftreten und ein braungebrannter Mann mit kessem Bärtchen und dandyhaftem Gebaren, der sich als Picardo vorstellte und offensichtlich Kunstmaler oder etwas in der Art war. Jonan wollte es gar nicht so genau wissen.
    Der ungewöhnlichste Verschwörer in der Gruppe war ein vielleicht dreizehnjähriger Junge, der sich selbst Pitlit nannte. Er trug eine mehrfach geflickte Hose und bewegte sich mit der Großspurigkeit eines jungen Mannes, der alle anderen um sich herum für etwas

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