Flammen über Arcadion
schlecht oder höre ich recht? Wir gedenken, uns den Obrigkeiten Arcadions im Kampf zu stellen? Das ist doch, mit Verlaub, der blanke Irrsinn! Ich male Spottbilder auf den Klerus. Ich bin wahrlich nicht scharf darauf, die Feder gegen das Schwert oder genauer den Pinsel gegen die Pistole einzutauschen!«
»Feigling«, murmelte Pitlit.
»Still, Pitlit«, brummte Ugo. Dann richtete sich der Mathematiker an die ganze Gruppe. »Ich sage es nur ungern, aber ich bin Picardos Meinung. Bitte versteh mich nicht falsch, Carya. Ich bedaure das, was mit deinen Eltern geschehen ist. Aber solche Dinge passieren unter der Willkürherrschaft des Lux Dei. Dagegen sind wir machtlos.«
Ein paar andere murmelten zustimmende Worte.
»Aber warum treffen Sie sich dann hier?«, entfuhr es Carya unvermittelt. Jonan hörte den Zorn in ihrer Stimme. »Wofür gibt es die Ascherose? Sie, Professore, haben mir gestern solch wundervolle Sachen erzählt, dass SieVeränderungen herbeiführen wollen, dass Sie das Befleckte reinigen möchten. Hieß das nun, dass Sie sich gegen den Lux Dei auflehnen wollen oder nicht?« Sie stand auf und warf einen beschwörenden Blick in die Runde. »Schauen Sie mich an. Ich habe gesehen, zu welch furchtbaren Dingen der Lux Dei imstande ist. Und mein Herz hat mich gezwungen, etwas dagegen zu unternehmen. Ich mag gewissermaßen versagt haben, weil ich Großinquisitor Aidalon nicht umgebracht habe, aber ich habe etwas bewegt. Ich! Eine sechzehnjährige Schülerin! Sie alle sind viel klüger als ich. Sie besitzen Kenntnisse und Gaben, von denen ich nur träumen kann, und Sie haben Freunde und Bekannte, die uns helfen können. Und doch wollen Sie hier nur herumsitzen und jammern?«
»Jawoll!«, kommentierte Pitlit. »Nehmt euch ein Beispiel an der süßen Biene. Die hat einen echten Stachel.«
Jonan warf dem Straßenjungen einen finsteren Blick zu, den dieser gar nicht bemerkte.
Die Mitglieder der Ascherose sahen sich unbehaglich an.
»Wir sind keine Diktatur«, sagte Adara schließlich. »Es steht jedem von euch frei zu entscheiden, ob er sich an dieser Aktion beteiligen möchte, die zweifellos über das hinausgeht, was wir bislang an zivilem Ungehorsam betrieben haben. Natürlich habe ich auch deshalb alle zusammengebeten, weil diese Befreiung Folgen für die Zukunft der Ascherose haben wird. Wenn sich die Mehrheit dagegen ausspricht, sollten diejenigen, die Carya helfen wollen, sich darüber im Klaren sein, dass sie auf eigene Verantwortung handeln und keine Hilfe vom Rest von uns erwarten dürfen, wenn irgendetwas schiefgeht. Sollte die Mehrheit der Ansicht sein, dass es Zeit wird, Farbe zu bekennen und eine neue Ära des aktiven Widerstands einzuläuten, bitte ich im Gegenzug diejenigen, die diesem Weg nicht weiter folgen wollen, sich zu Stillschweigen und Nichteinmischung zu verpflichten.«
»So oder so stehen wir an einem Scheideweg, und das will mir gar nicht schmecken«, bekannte Picardo, der Künstler.
»Irgendwann musste es passieren«, entgegnete Adara nur. »Das wussten wir alle.«
Die Gruppe diskutierte noch eine Weile weiter, wobei Jonan sah, dass die Angst in den Gesichtern der Anwesenden mit ihrer idealistischen Sehnsucht kämpfte, etwas bewirken zu können.
Schließlich drängte Adara alle zur Abstimmung.
»Ich bin dabei!«, rief Pitlit sofort, obwohl er vermutlich der Letzte war, dessen Meinung die Erwachsenen hatten hören wollen.
Stephenie presste entschlossen die Lippen zusammen, als sie ebenfalls nickte. »Ich helfe auch.«
»Ach, verflixt! Hier.« Dino hob die Hand. »Zeigen wir’s dem Lux Dei.«
Einer nach dem anderen meldete sich dafür, Carya zu helfen. Bei Ugo und der rundlichen Historikerin war das Zögern allerdings so deutlich zu spüren, dass Jonan sich fragte, ob es wirklich gut war, dass sie dem Gruppenzwang nachgaben, statt ihrer Überzeugung zu folgen.
Einzig die silberhaarige Autorin schüttelte den Kopf. »Im Herzen unterstütze ich euer Handeln«, sagte sie. »Aber ich bin zu alt, um Räuber und Gendarm mit der Stadtwache zu spielen. Ich werde ein paar Tage meine Schwester in Firanza besuchen. Dann stehe ich euch nicht im Weg, und der Lux Dei stellt keine so unmittelbare Gefahr für mich dar wie hier in Arcadion.«
Zuletzt richteten sich alle Augen auf Picardo, den Kunstmaler, der bis jetzt mit verkniffener Miene geschwiegen hatte. »Und nun?«, fragte er leicht gereizt. »Nun erwarten sicher alle von mir, dass ich ein beleidigtes Pfft von mir gebe, weil niemand von
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