Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
einzubeziehen?«
»Nein.«
»Dann müssen wir Material finden, das wir gegebenenfalls gegen Voisey verwenden können. Wir wissen nicht genug über ihn. Vielleicht ist es nützlich, wenn wir uns an die Geschichte von David und Goliath erinnern …«
»Ist er denn wirklich ein Goliath?«, fragte Charlotte kläglich. »Gewiss, in der Bibel siegt David, aber im wirklichen Leben ziehen die Davids oft den Kürzeren. Ich nehme an, dass die Geschichte keinen Sinn hätte, wenn es anders wäre.« Mit einem schiefen Lächeln fügte sie hinzu: »Zwar bin ich ziemlich sicher, dass wir den lieben Gott auf unserer Seite haben, doch ist mein Glaube an die Rechtmäßigkeit unserer Sache nicht so unerschütterlich, dass ich mich dem ganzen Heer der Philister mit nichts als einer Schleuder und einer Hand voll Steine entgegenstellen möchte. Ich bin wohl ziemlich kleingläubig, wie? Oder bin ich einfach nicht so anmaßend und eher realistisch?«, scherzte sie, um den peinigenden Schmerz zu übertönen, den sie um Pitts willen empfand.
»Ich beabsichtige den Kampf mit Goliath nicht ganz allein aufzunehmen«, gab Vespasia nicht ohne Schärfe zurück. »Mit meinen Worten habe ich mich auf die Aussage bezogen, dass Goliath eine undurchdringliche Rüstung trug, die seine Schläfen ungeschützt ließ – eine kleine, aber überaus verwundbare Stelle für jemanden, der genau zu zielen versteht. Wo ist Charles Voisey verwundbar? Wir brauchen etwas, worauf wir zielen können.«
»Ich weiß es nicht!«, sagte Charlotte und schluckte. »Entschuldige, aber ich habe das Gefühl, dass meine Angst mit mir durchgeht. Thomas hat der Korruptionsvorwurf gegen die Polizei schrecklich mitgenommen. Zumindest ein Teil der Männer arbeitet in der Bow Street, wo er früher war. Es tut mir weh zu sehen, dass ihm das so nahe geht.«
Vespasia seufzte. »Ich nehme an, dass man mit Korruption rechnen muss, wenn man jemanden wie Wetron in eine solche Stellung bringt. Vermutlich bist du deiner Sache absolut sicher?«
»Nein, aber ich habe gute Gründe, anzunehmen, dass es sich so verhält«, gab Charlotte zur Antwort. »Tellman macht Gracie den Hof …«
Plötzlich lächelte Vespasia mit unverhüllter Freude. »Meine Liebe, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Sie wird dir bestimmt sehr fehlen.«
»Unbedingt. Ich weiß gar nicht, wie das Leben bei uns ohne ihre Kommentare zu allem und jedem sein wird. Mir ist die Vorstellung zuwider, eine andere ins Haus nehmen zu müssen, und Daniel und Jemima werden bestimmt todunglücklich sein, aber mir ist klar, dass das Leben für Gracie weitergehen muss.«
»Was hat das Ganze mit der Korruption in der Bow Street zu tun?«
»Gestern Abend wollte Tellman eigentlich mit Gracie ausgehen, hat ihr aber abgesagt«, gab Charlotte zur Antwort, »und gleich für heute Abend mit. Das bedeutet, dass er etwas außerordentlich Wichtiges zu tun hat, das keinen Aufschub duldet. Daraus, dass er ihr keine Erklärung abgegeben hat, haben wir beide geschlossen, dass es etwas ist, was er für Thomas tut – und das kann gegenwärtig nur mit Anarchie und Korruption zu tun haben.«
»Du hast Recht, das klingt plausibel«, nickte Vespasia. »Umso dringender ist es, Voiseys schwache Stelle herauszubekommen. Es muss etwas geben, was ihm wichtig ist, etwas, was er unbedingt haben oder auf keinen Fall verlieren möchte, irgendeine Leidenschaft oder ein Bedürfnis. Und wenn sich Thomas durch sein Ehrgefühl daran gehindert sieht …«
»Das würde er bestimmt.«
»Das vermute ich auch. Aus diesem Grunde schätzen wir beide ihn umso mehr«, sagte Vespasia ohne zu zögern. »Auf jeden Fall müssen wir etwas finden, womit wir ihn schützen können, ganz gleich, ob wir dann später Gebrauch davon machen oder nicht. Was glaubt Voisey deiner Ansicht nach auf diese Weise gewinnen zu können? Geht es einfach nur um Rache an Wetron?«
Charlotte wollte schon sagen, dass sie das vermute, dachte dann aber ein wenig gründlicher nach. »Ich weiß nicht recht. Vielleicht will er Thomas auf irgendeine Weise als Mittel zum Zweck benutzen, um Wetron zu vernichten und dann selbst dessen Stelle einzunehmen? Wir brauchen eine Waffe, nicht wahr? Allerdings hätte ich möglicherweise Angst, sie zu benutzen, wenn ich eine besäße.« Sie sah Vespasia eindringlich an, suchte in ihren Augen verzweifelt nach einer tröstlichen Antwort, die ihre Angst vertreiben konnte.
»Natürlich würdest du sie benutzen«, sagte Vespasia, ohne zu zögern. »Das tut jede Frau,
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