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Flammen um Mitternacht

Flammen um Mitternacht

Titel: Flammen um Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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weiter zum
Landsitz seines Verlegers zu fahren.
    Mike duschte
seit zehn Minuten und sang dabei.
    Solange er
sprach, hatte er eine angenehme Stimme. Wenn er sang, vergaß man das.
    „Ruhe!“
schrie Locke.
    „Aufstehen,
Prinzessin! Ein neuer Tag bricht an.“
    Das wußte
sie zwar, aber es beeindruckte sie nicht. Die Nacht war ja so kurz gewesen.
Gewichte schienen an Lockes seidigen Wimpern zu hängen. Erst nachdem sie sich
am Tee gelabt hatte, erwachte der Rest von ihr, nämlich der bunte Strauß
nützlicher Eigenschaften wie Unternehmungsgeist, Abenteuerlust, Hilfsbereitschaft
und weibliche Eitelkeit.
    Sie duschte
nur halb so lange wie Mike und entschied sich später für einen Pulli mit
halsfernem Kragen.
    Dazu hätte
ein Kettchen gepaßt. Das von Tom! Himmel, wo war das?
    Sie
durchwühlte ihr hoffnungslos überladenes Zimmer. Sie sah sogar im Mausekäfig
und unter dem Bettvorleger nach. Aber der kostbare Beweis seiner — Toms —
Zuneigung blieb verschwunden.
    In
Kleinbeeren hatte ich’s noch, erinnerte sie sich. Das weiß ich genau. Ob es
Elke versehentlich eingesteckt hat? Im Kulturbeutel könnte es unbemerkt
bleiben, solange es ganz unten liegt.
    Sie
beschloß, ihre Freundin heute noch zu fragen, und hoffte sehr, denn der Verlust
hätte weh getan.
    Beim
Frühstück aß sie unendlich lange an ihrem Honigtoast und trank auch nur wenig
Milch.
    Mike köpfte
das vierte Eis, war entnervend gut gelaunt und sagte: „Sowas kommt davon. Ich
meine, wenn man sich Nächte um die Ohren schlägt. Kleine Mädchen gehören ins
Bett und nicht in finstere Gegenden, wo Brandstifter Häuser einäschern.“
    „Ohne Tom
und mich stünde die Polizei jetzt so ahnungslos da wie ein gewisser Michael
Rehm vor dem Abitur.“
    „Hast du
eine Ahnung, wieviel Ahnung ich habe! Bin Kursbester in... äh... jedenfalls war
ich das voriges Jahr.“
    Natürlich
hatte Locke ihren beiden ,Männern’ noch während der Nacht berichtet, und Gunter
sorgte jetzt dafür, daß in der morgigen Ausgabe des TAGBLATTS alles
Wissenswerte erschien.
    Mike verließ
vor Locke das Haus, um mit seiner schweren Maschine zur Penne zu brausen. Sein
Schwesterchen hatte Zeit — und den Eindruck erweckt, die erste
Unterrichtsstunde wäre frei. Doch alsbald machte auch sie sich auf die
Stricksocken.
    Der
Herbstmorgen war sonnig, die Luft klar und erfrischend: ein Muntermacher. Das
empfand Locke, als sie auf ihrem Mofaroller zur Feldkirchner Straße fuhr. Auf
ihre Schultasche hatte sie verzichtet, nicht aber auf ein feuerrotes Kopftuch,
mit dem sie — von weitem — wie eine Zigeunerin aussah.
    Tom wartete
schon an der Ecke, an der sie sich verabredet hatten, stützte einen Fuß auf den
Bordstein und beobachtete nachdenklich, wie ein Falschparker abgeschleppt wurde
— nicht der Fahrer, das Auto: ein brauner Mercedes.
    Zur
Begrüßung drückte Tom seinem Schatz ziemlich kalte Lippen auf die Wange.
    „Finde ich
irgendwie richtig“, sagte er, mit einer Kopfbewegung zu der Nobelkutsche.
„Parkt an unmöglicher Stelle — und mitten auf dem Gehweg. Ein altes Muttchen
konnte nicht vorbei, mußte runter auf die Fahrbahn und wäre fast unter einen
Laster gekommen.“
    Der
Abschleppwagen manövrierte noch. Ein Polizist leistete Hilfe.
    „Mensch!“
sagte Locke. „Das ist doch Heidenreichs Kutsche!“
    „Meinst du?
Ich weiß nicht. Habe mir die Nummer nicht gemerkt. Und braune...“
    „Da kommt
er“, unterbrach sie.
    Und richtig
— Otto Heidenreich, der gewichtige Baulöwe, näherte sich im Laufschritt, aus
einer Bank kommend, unter dem Arm einen Aktenkoffer, in dem vielleicht eine
halbe Million lag: unehrenhaft und schurkig erworben.
    Man kann
nicht behaupten, daß er den Polizisten bei der Brust packte und schüttelte,
aber freundlich war er nicht.

    Das
entnahmen Locke und Tom den Mienen. Verstehen konnte sie nichts. Dafür waren
sie nicht nahe genug. Aber Otto Heidenreich zog eine Schau ab, die auch als
Pantomime (Darstellung ohne Worte) zu verstehen war.
    Offensichtlich
erklärte er dem Schutzmann, wer er war: Heidenreich! Ja, DER Heidenreich,
größter Steuerzahler der Stadt, bester Freund aller, die hier was zu melden
hatten, und und und... Und da würde es wohl möglich sein, daß er mal für zehn
Minuten einen Gehsteig als Parkplatz benutze, wo er doch so verdammt wichtiges
in der Bank zu erledigen hatte.
    Der Polizist
war kein Held, sondern — offensichtlich — leicht einzuschüchtern. Er winkte dem
Abschleppdienst, das Vorhaben einzustellen. Vielleicht

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