Flammenbraut
Bowle noch eine Chance. »Dass sie unsichtbar war. Wenn sie in den Wochen vor ihrem Tod irgendwo war oder irgendetwas getan hat, dann ist es immer noch ein Geheimnis, keiner hat was gesehen.«
»Dann sucht bei ihr zu Hause. Was ist mit dem seltsamen Kerl bei ihr auf dem Stockwerk?«
Tote Mädchen interessierten Heather nicht, weshalb sie rasch das Thema wechselte. »Läuft dir dieser Unterhändler eigentlich immer noch hinterher?«
Theresa lehnte sich gegen den Tisch, um ihrem Hintern ein wenig Erholung im ständigen Kampf gegen die Schwerkraft zu gönnen. Chris Cavanaugh rief sie selten und in unregelmäßigen Abständen an, was man wohl kaum als hinterherlaufen bezeichnen konnte. Und doch hatte er seine Anrufe auch nicht vollständig eingestellt. »Könnte man so sagen.«
»Und, wirst du dich von ihm einfangen lassen?«
»Eigentlich« – Theresa nippte an der Bowle und stimmte Frank im Stillen zu, dass sie wirklich etwas Rum vertragen hätte – »treffe ich mich mit einem anderen Mann. Er ist älter. Sehr kultiviert.«
Hinter Heather verdrehte Frank die Augen.
»Er liebt Züge«, fuhr Theresa fort.
Doch lebhaft war nicht gleich dumm. Heather hegte offensichtlich den Verdacht, dass sie veralbert wurde, und drängte ihren kleinen Sohn von der Bowlenschüssel weg, als dieser sich streckte und die schwimmenden Fruchtstücke herausangeln wollte. Theresa und Frank flüchteten ins Freie.
Der Garten des Hauses von Franks Mutter war von Bäumen abgeschirmt, und Theresa beobachtete, wie die untergehende Sonne diese in ein rotes und goldenes Feuerwerk verwandelte. Vierzig Jahre alt, und immer noch war der einzige Mensch, mit dem sie sich unterhalten wollte, ihr Cousin. Vielleicht hatten Leo und Irene Schaffer und alle anderen recht. In ihrem Leben klaffte eine Lücke, und sie brauchte jemanden, um sie zu füllen.
»Habt ihr noch etwas über James Millers Laufbahn herausgefunden?«, erkundigte sie sich bei Frank.
»Nicht viel. Wurde 1929 eingestellt, 1932 zum Detective befördert. Der Name seines Partners war Walter McKenna. Die Personalabteilung hat eine Aktennotiz zu Millers Verschwinden gefunden; man war gerade dabei, ihm zu kündigen wegen Amtspflichtverletzung. Sein Partner hatte keine Ahnung, was mit ihm passiert sein könnte. Sie hatten zusammen in dem Fall des vierten Opfers ermittelt, das im Juni 1936 getötet worden war.«
»Der Tätowierte. Der, der heute Nacht sterben soll. Also derjenige, mit dem unser Mörder die Ereignisse von damals nachstellen will.«
»Ich weiß, was du meinst. Wie auch immer, McKenna ist an ihrem letzten gemeinsamen Tag abends nach Hause gefahren und hat Miller nicht wiedergesehen. Millers Frau sagte, er sei nie nach Hause gekommen. Das war’s.«
»Er ist dem Mörder also entweder durch Zufall in die Arme gelaufen, oder er hat eine Spur verfolgt, von der er seiner Frau oder seinem Partner nichts erzählt hatte.«
»Oder der Partner lügt«, schlug Frank vor.
»Warum sollte er?«
»Cleveland war damals ein raues Pflaster. Das organisierte Verbrechen hat die Stadt beherrscht, und die meisten Cops haben das Ihre dazugetan. Deshalb hat man Ness geholt, damit er sowohl in der Stadt als auch innerhalb der Polizei aufräumt.«
Wolken zogen auf und verdeckten die Sonne, und Theresa hoffte, dass es bei der nächtlichen Observierung nicht regnete. »Du glaubst, Miller hat für die Mafia gearbeitet und ist von ihr umgebracht worden?«
»Oder eben nicht, und deswegen haben ihn korrumpierte Cops getötet.«
Es überraschte sie, dass so eine Theorie ausgerechnet von ihm kam, aber schließlich war das lange her und würde kaum einen Schatten auf die Polizei von heute werfen. »Glaubst du?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Cop einem anderen den Kopf abschlägt. Der Mafia sähe das schon ähnlicher. Vielleicht wollten sie die Leiche auch so platzieren, dass jeder den Torso-Mörder dafür verantwortlich machen würde, dann haben sie die Nerven verloren oder ihren Plan geändert. Oder es war sogar wirklich der Torso-Mörder. Wer weiß? Wenn man den Fall 1936 nicht lösen konnte, bezweifle ich, dass wir es schaffen.«
»Vielleicht schon. Immerhin haben wir die Verdächtigen auf die Mieter des Gebäudes eingegrenzt«, erwiderte sie, auch wenn ihr bewusst war, dass sie Brandon Jablonski zitierte.
Schweigend standen sie einige Minuten da und dachten nach. Eine Gänseformation zog laut quakend über ihren Köpfen durch die Luft auf dem Weg in den
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