Flammenbraut
keineswegs erwartet, ein gefangenes Mädchen zu finden. Nein, er wollte vielmehr nach Blut suchen.
Der Raum schien weitestgehend unverändert, Flaschen mit Tabletten und Kräutern mit handgeschriebenen Etiketten, ein kleiner Stapel Handtücher und Schreibpapier. Keine dunklen Flecken an den grob gezimmerten Holzwänden oder auf dem Boden. Zwei Flecken am Rand des Feldbettrahmens, und James konnte nur hoffen, dass sie nicht von einem armen Mädchen mit weniger Glück als Irene Schaffer stammten. Doch er konnte keine Anzeichen dafür finden, dass Flo Polillo in dieser kleinen Kammer getötet und zerstückelt worden war.
Und doch hätte er schwören können, es zu riechen, den feuchten und modrigen Geruch von Blut. Mord, Krieg, alles roch gleich.
»Zufrieden, Officer?«, fragte Odessa, als James wieder in das Büro trat.
»Detective.«
Der Mann konnte ein Augenrollen gerade noch unterdrücken. »Detective. Dann darf ich Ihnen jetzt einen guten Tag wünschen. In fünf Minuten habe ich meinen nächsten Termin. Sehen Sie sich die Klientin an, und Sie werden verstehen, warum ich meine Zeit nicht mit den Flo Polillos dieser Stadt verschwende.«
»Sie kennen den Namen des Opfers«, bemerkte James.
»Die Zeitungen waren ja schließlich voll davon. Jeder in Cleveland kennt ihren Namen.«
James und Walter traten bei Odessas letztem Satz gerade in den Flur hinaus und sahen eine Frau, die das Büro gegenüber aufschloss. Sie sagte: »Wessen Namen? Meinen?«
»Entschuldigen Sie, Auralina. Die Detectives sprachen von der Frau, die man so brutal ermordet aufgefunden hat.«
Die Aufschrift auf der Glastür lautete AURALINA DE MORELLI – MEDIUM , und die Erscheinung der Frau passte dazu. Sie trug ein fremdländisch wirkendes wallendes Gewand in Lila und Purpurrot, das jedoch eine überaus weibliche Figur darunter erahnen ließ. Ihr Gesicht war ebenfalls wohlgeformt, wenn auch unter zu vielen Puderschichten versteckt. »Ich habe alles darüber gelesen. Sie brauchen meine Hilfe, Gentlemen. Ich kann Kontakt mit der Toten aufnehmen und sie fragen, wer sie auseinandergerissen hat.«
»Ach, wirklich«, erwiderte Walter, in keinster Weise überzeugt. James machte sich gar nicht erst die Mühe zu antworten, sondern überprüfte den Rest des Korridors. Aus dem Büro der Architekten drang schallendes Gelächter. Die Tür zum Büro des Eisenbahners war geschlossen, hinter der Glasscheibe brannte kein Licht.
Doch de Morelli verstand ihr Geschäft und korrigierte ihr Angebot. »Vorausgesetzt natürlich, sofern sie mit uns sprechen will, wenn sie es überhaupt weiß. Aber man kann nie sicher sein, ehe man nicht gefragt hat. Es könnte Ihren gesamten Fall klären.«
Walters Augen klebten an ihren Brüsten. »Einfach so.«
Sie lehnte sich gegen den Türrahmen, um sich noch besser zu präsentieren. Auralina de Morelli war offensichtlich bewandert in den subtileren Arten der Verkaufskunst. »Wie ich schon sagte, man weiß es nicht, bevor man es nicht versucht. Der Geist dieser getriebenen Frau wird sich bemühen, Ausdruck in dieser Welt zu finden.«
»Wir danken Ihnen, Ma’am«, sagte James. »Los, gehen wir, Detective McKenna.«
»Klar.« Walter war allerdings immer noch gefesselt von den beeindruckenden Brüsten der Frau, während sich die Eingangstür öffnete und einen Schwall eisige Luft ins Gebäude ließ.
Das Medium lächelte Odessa auf eine Weise an, dass James dachte, der Mann würde wohl doch nicht alle seine Partnerinnen betäuben müssen. »Eine Klientin von Ihnen, Louis, oder vielleicht auch jemand für mich.«
Doch es war nur Arthur Corliss, der den Flur betrat, ein in Papier eingeschlagenes Päckchen in der Hand, das einen angenehmen Duft verströmte. »Hallo. Findet hier denn eine Besprechung im Flur statt?«
Odessa stellte die beiden Polizisten vor, als ob sie seine Gäste auf einer Party wären. Corliss’ Blick ruhte einen Moment des Wiedererkennens lang auf James, doch er sagte nur: »Ich habe etwas Verpflegung besorgt. Möchten die Gentlemen etwas zum Mittagessen? Das beste Corned Beef der Stadt.«
»Woher haben Sie es?«, fragte Walter prompt. Essen war das Einzige, was ihn von einem weiblichen Körper ablenken konnte.
»Mike’s.«
»Oh ja, gute Wahl!«
»Nein, da…«, setzte James an, unterbrach sich jedoch sogleich. »Danke, das wäre nett.«
Walter starrte ihn verwundert an. »Du magst doch noch nicht mal …«
»Ich denke immer an dich, Partner. Warten Sie, ich helfe Ihnen, Mr. … Corliss, nicht
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