Flammenbraut
Mann, man sollte meinen, dass ihn jemand vermisst – zumindest dachten wir das gestern, als wir nur den Kopf hatten. Doch angesichts der ganzen Tätowierungen … wenn er ein Seemann war, dann könnte er von überall her in die Stadt gekommen sein. Ich setze meine Hoffnungen auf die Fingerabdrücke.« James bemerkte die geschwärzten Fingerkuppen des Opfers. »Aber ich warte schon seit einer Stunde, wenn er also in unserer Kartei geführt ist, dann hat man es mir noch nicht gesagt.«
»Lag der Körper hier, als man den Kopf fand?«, fragte James.
Der Bertillon-Mitarbeiter zuckte zusammen. »Das ist die große Frage. Jeder, der sich gestern hier herumgetrieben hat, wird peinlich genau befragt werden, warum man nicht hinter der Brücke gesucht hat. Wir sind nur etwa dreihundert Meter vom Fundort des Kopfes entfernt.«
»Vielleicht lag er gar nicht hier. Der Mann, der mit Andrassy zusammen gefunden wurde, war schon ein paar Tage länger tot gewesen. Der Mörder könnte diesen Körper auch länger behalten haben als den Kopf.«
Der Bertillon-Mitarbeiter sammelte einen weiteren Zweig von der Wade des Leichnams und ließ ihn in ein Glas fallen, bevor er mit dem Kinn Richtung Osten zeigte. »Selbst wenn, dann hätten sie zumindest das da finden müssen.«
James ging in die angedeutete Richtung. Das da stellte sich als ein unregelmäßiges Oval aus einer getrockneten, dunkelroten Flüssigkeit auf dem Boden heraus, etwa sechzig mal neunzig Zentimeter groß. Der Fleck schien zu variieren, dunkler wo die Erde lehmhaltiger war, heller über losem Erdboden. Die Ränder waren hier und da unregelmäßig, als ob Dinge daraus hervorgezogen worden wären. Die darumstehenden Gräser waren ebenfalls blutgetränkt.
Walter gesellte sich zu ihm. »Nicht schwer zu erkennen, was das ist.«
»Warum ausgerechnet hier?«
»Ob die kopflose Leiche da drüben etwas damit zu tun haben könnte?«
»Aber es sieht nicht nach seinem Werk aus, viel zu unordentlich das Ganze. Er hat das Blut des jungen Mannes nicht in einem Eimer aufgefangen und hier ausgeschüttet. Er hat ihn hier getötet, siehst du die bespritzten Gräser? Die anderen Leichen …«
»Die anderen Leichen hat er irgendwo anders getötet und dann abgeladen, ja.« Walter drehte sich langsam um sich selbst und blickte durch das Tal. Die Bäume zu beiden Seiten versperrten den nahe gelegenen Häusern den Blick auf die Senke. »Nachts wäre er hier vollkommen unbeobachtet gewesen.«
»Bis auf die Züge.«
»Ja, deine verdammten Züge. Er musste sich doch nur auf den Boden legen, wenn einer kam. Es war sicher stockfinster hier draußen.«
»Genau, also warum?«
»Du schon wieder mit deinem ewigen Warum. Weil er ein verrückter Perverser ist, deshalb.«
»Ich meine, warum im Freien? Warum nicht in seinem Versteck oder in seiner Werkstatt oder wo auch immer er die ersten drei umgebracht hat?«
Sie gingen wieder zurück Richtung Leiche. »Dieser Kerl ist ein junger Mann, sah gut aus. Vielleicht hatte er mit seinem neuen Freund noch etwas anderes vor«, sagte Walter.
»Er hat versucht abzuhauen, und der Täter musste schnell arbeiten. Das wäre möglich«, stimmte James zu. »Vorausgesetzt, der Mörder hatte die Tatwaffe dabei. Aber ich frage mich, ob er die Tat im Freien verübt hat, weil er keine andere Wahl hatte.«
Walter sah ihn mit gegen das Sonnenlicht zusammengekniffenen Augen an. Hinter ihm breiteten die Leute vom Leichenschauhaus ein sauberes Laken neben der Leiche aus. Der Bertillon-Mitarbeiter machte sich bereit, bei der Umlagerung des Toten zu helfen.
»Vielleicht musste er im Freien arbeiten, weil er seinen Rückzugsort verloren hatte. Seine Frau hat ihn rausgeworfen, oder irgendwelche Gäste von außerhalb sind unerwartet eingetroffen. Oder man hat sein Büro wegen Renovierungen geschlossen, weil es ein Feuer gegeben hat.« Er erzählte Walter von der Zeitungsmeldung.
»Und wer ist dann dein Verdächtiger? Corliss oder Odessa?«
»Einer von beiden. Vielleicht beide. Die Opfer waren alles gesunde Männer und eine kräftige Frau. Alle leichter herumzuwuchten mit einem Partner.«
Walter schüttelte den Kopf. »Nur weil wir über sie gestolpert sind, Jimmy, muss das nicht bedeuten, dass einer von beiden unser Mann ist. Jeder Cop dieser Stadt hat seinen eigenen Verdächtigen und gewiss gute Gründe dafür.«
James blickte auf den Polizisten bei der Leiche hinab, der Spurenmaterial von der Seite des Körpers absammelte, auf der dieser gelegen hatte. »Was für
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