Flammenbraut
vermutlich eine Katze, doch schon bald verstummte das leise Rascheln in der Nähe der nordwestlichen Ecke.
Die Abrissarbeiten waren zu gründlich gewesen. Nirgendwo war mehr zu erkennen, ob eine Wand gerade gewesen war oder eine Biegung gemacht hatte, wo eine Türöffnung zu dem vorderen oder dem hinteren Büro gewesen war. Theresa kauerte sich auf den Boden, bürstete Putzstaub und etwas Laub von den Dielen. Wenn hier irgendwo James Millers Todeskammer oder Louis Odessas Geheimschrank – oder vielleicht war das ja auch ein und derselbe Raum – gewesen war, dann musste es Abnutzungsspuren auf dem Boden hinein und hinaus geben.
Ein Zug fuhr ratternd in einiger Entfernung vorüber. Sechs Meter über ihr knarzte das Dach unter dem schweren Nebel.
Der Boden war irgendwann abgeschliffen und ohne Zweifel auch ein Teppich darauf verlegt worden. Die soliden Dielenbretter wiesen Kratzer, Kerben und Nagellöcher von früheren Mietern auf. Theresa folgte der Linie der Pfosten, versuchte, ihre Hosen vor dem Staub zu schützen, gab das jedoch bald schon auf. Normalerweise wartete sie bis zum Beginn ihrer Arbeit, um sich schmutzig zu machen, doch nicht heute. »Manchmal«, hatte ihr Großvater ihr oft gesagt, »muss man runter auf Hände und Knie.« Sie hatte immer gedacht, dass er sie damit warnen wollte, nicht zu stolz und überheblich zu werden, doch vielleicht hatte er es ja auch ganz wörtlich gemeint.
Moment, sie hatte das falsch angefangen. Das Gebäude war beinahe neu gewesen, als James Miller hier eingemauert worden war – der Eingang zu der Geheimkammer war für alle nachfolgenden Mieter nichts als eine Wand. Sie sollte daher auf die Zwischenräume zwischen den Wandpfosten schauen, die keine Abnutzungsspuren aufwiesen.
Weiter kroch sie auf den Knien herum, ohne etwas Interessantes zu finden. Nicht einmal die fünfundsiebzig Jahre, die Menschen hier herumgegangen waren, hatten die kräftigen Dielenbretter nennenswert mitgenommen. Arthur Corliss oder Louis Odessa? Welcher von beiden hatte James Millers Leiche eingemauert? Oder hatte sie den Grundriss irgendwie verdreht, und die Architekten hatten hier ihr Büro gehabt? Sicher wären sie fähiger gewesen, neue Mauern zu errichten, als das Medium.
Ein kaum hörbares Geräusch, eher eine Vibration denn ein Laut, drang an ihr Ohr. Es hätte die streunende Katze von vorhin sein können, die auf ein Fensterbrett sprang, oder ein Dachbalken hatte sich im Herbstwind leicht verschoben. Doch das glaubte Theresa nicht.
Sie stand auf, schaltete die Taschenlampe aus und ging durch das Haus zur Kellertreppe. Ihre Schritte verursachten nur ein leises Flüstern auf den Dielenbrettern, eine Reihe winziger Knarzer.
An der Treppe blieb sie stehen und lauschte. Es wäre natürlich dumm, dort hinunterzugehen. Wenn das Geräusch von etwas anderem als einer streunenden Katze oder einem Waschbären herrührte, dann war es wahrscheinlich einer der Obdachlosen, der sich bei ihrer Ankunft in den Keller zurückgezogen hatte. Vielleicht befand sich da unten ein Lager – nachts wäre es dort sicher wärmer als hier oben. Obdachlose Männer – oder Frauen – waren eher scheu und selten gewalttätig … doch sie sollte besser nichts riskieren.
Sie setzte den Fuß auf die erste Treppenstufe.
Doch was, wenn sie einen Nachkommen des Mad Butcher aufstöberte, einen Schüler, der sein Werk fortführte? Jemand, der nicht von der Entdeckung von James Millers Leiche überrascht war. Jemand, der wusste, wie und warum man ihn zur letzten Ruhe auf einem Tisch in einer Geheimkammer gebettet hatte.
Jemand, der alles wusste .
Sie ging zwei weitere Stufen hinab, wartete. Nichts war zu hören außer ihrem eigenen Atem.
Das war dumm.
Aber war es nicht genauso dumm wie die Angst vor der Dunkelheit? Das hier war schließlich nur ein Keller. Was machte es schon, dass hier vor vielen Jahren ein Mord begangen worden war?
Noch eine Stufe. Sie glaubte sowieso nicht an Geister. Wenn es sie gab, dann blieben sie nicht an Tatorten oder bei ihren Körpern zurück. Sie hatte genug Zeit mit beidem verbracht, um das genau zu wissen.
Schade, wirklich. Sie hätte James Millers Geist gern getroffen.
Ihr Fuß tastete nach der nächsten Stufe.
Auch wenn es nicht die Geister waren, die man hier zu fürchten hatte, in einem verlassenen Gebäude in einer großen Stadt, weit und breit niemand, der einen schreien hören könnte.
Fast war sie unten.
Er wartete bis zur letzten Stufe, ehe er sie blendete.
Der
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