Flammenbrut
hatte sie keine Ruhe mehr gefunden. Sie war nach unten gegangen, um die Türschlösser zu überprüfen, hatte dann die
Lampe im Wohnzimmer ausgeschaltet und durchs Fenster gespäht. Die dunkle Straße draußen war leer gewesen und voller Schatten.
Sie hatte, bis ihr die Augen wehtaten, darauf gewartet, dass einer der Schatten sich bewegte. Als sie zu Bett ging, lag sie
lange wach und lauschte auf jedes Knarren des sich abkühlenden Hauses.
Die elektronische Anzeigetafel kündigte an, dass in zwei Minuten ein Zug einlaufen würde. Kate gähnte. Vom Eingang zum Bahnsteig
hörte sie das widerhallende Schlurfen von Schritten. Immer noch gähnend, hielt sie sich eine Hand vor den Mund und sah sich
um, in der Erwartung, dass irgendjemand auftauchen würde.
Niemand kam.
Sie wollte gerade den Blick abwenden, als sie das Schlurfen abermals hörte. Diesmal war es leiser, aber näher. Sie wartete
und behielt die Öffnung in der Wand im Auge.
Das Geräusch setzte ein drittes Mal ein. Jetzt von der anderen Seite. Kate drehte sich um. Zu ihrer Rechten befand sich ein
zweiter Eingang, dieser nur gut drei Meter entfernt. Ein leises Quietschen wie von Gummisohlen auf Beton drang aus der Öffnung.
Aber zu sehen war immer noch niemand.
Kate blickte sich hastig um. Der Bahnsteig war still und verlassen. Ihre Handtasche an sich gepresst, stand sie auf. Sie bewegte
sich, so leise sie nur konnte, von dem zweiten Eingang weg. Sie versuchte, sich die Gestalt auf der anderen Seite vorzustellen,
den Mann, der auf sie lauerte, versuchte sich darauf zu besinnen, wie weit es noch zur Treppe war. Da war es wieder, dieses
schlurfende Geräusch. Sie blieb stehen.
|364| Sie wusste nicht, aus welcher der Öffnungen es gekommen war.
Kate rührte sich nicht. Kein Laut mehr. Sie wartete und schlich sich dann abermals den Bahnsteig entlang. Der erste Eingang
war sieben, acht Meter weg, dann fünf, dann zwei. Sie blieb an der Ecke stehen, lauschte.
Von der anderen Seite ein schwaches, raschelndes Wispern wie über den Boden gewehtes Papier. Oder der Atem eines Menschen.
Ich bilde es mir nur ein. Da ist nichts.
Die Öffnung in der Wand lag vor ihr. Ein Blick hindurch zeigte ihr das untere Ende der Treppe, die nach oben hin im Nichts
zu verschwinden schien.
Renn weg
. Sie spannte die Muskeln an, um loszulaufen, dann war da ein Geräusch hinter ihr, und sie erinnerte sich an den anderen Eingang.
Sie fuhr herum, und ihr Schrei erstarb, als die Fenster des Zugs an ihr vorbeirasten, in die Länge gezogene Quadrate aus Licht,
die Fenster und Körper umrahmten. Als die Bahn langsamer wurde und stehenblieb, ließ Kate sich gegen die Wand sinken. Sie
warf einen Blick den Bahnsteig hinunter. Er war leer.
Die Zugtüren öffneten sich zischend, und Leute stiegen aus. Kate umklammerte ihre Tasche, rannte auf den nächstbesten Waggon
zu und sprang hinein.
Sie blickte an dem Zug entlang, aber außer ihr stieg niemand ein.
Als sie die Agentur erreichte, hatte Kate sich beinahe davon überzeugt, dass das Ganze nur Einbildung gewesen war. Ein Luftzug
aus dem Tunnel, ein Stück Papier und ihre Phantasie. Der Gedanke, dass sie den Kampf mit einer leeren Chipstüte hatte aufnehmen
wollen, entlockte ihr sogar ein |365| Lächeln. Dann fiel ihr wieder ein, dass Ellis am Tag zuvor auf der anderen Straßenseite in einem Hauseingang gestanden hatte,
und ihr Lächeln erstarb.
Trotzdem, es war ein guter Tag. Ein Importeur südamerikanischer Kunstwerke hatte aus heiterem Himmel angerufen und sie mit
der Werbung für eine Ausstellung von mexikanischem Schmuck beauftragt. Ein Freund habe sie ihm empfohlen, erklärte ihr der
Mann mit einem schwachen amerikanischen Akzent. Er war während der letzten Monate außer Landes gewesen und würde nächste Woche
wieder abreisen, daher hatte er keine Zeit zu verschwenden, indem er sich verschiedene P R-Agenturen ansah. Ob sie Interesse hätte?
Sie hatte.
Der Gewinn eines neuen Klienten gab ihr einen Gutteil des Optimismus zurück, den sie am Vortag zu verspüren begonnen hatte.
Es tat gut, mit jemandem zu reden, ohne sich Sorgen darüber machen zu müssen, was er gesehen oder gehört haben mochte. Sie
war gerade eifrig mit der Durchsicht des Materials beschäftigt, das der Importeur ihr gefaxt hatte, als Caroline sich über
die Gegensprechanlage meldete und sagte, dass Detective Inspector Collins sie unten erwarte.
Kate bat sie, ihn hinaufzuschicken. Sie fragte sich, warum er
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