Flammenbrut
sie und versuchte zu lächeln, während sie nach dem Klebeband über dem Mund des kleinen Mädchens griff.
«N-nicht!», rief Ellis, als Kate es abriss.
Das Band löste sich mit einem reißenden Geräusch und ließ die Haut darunter stark gerötet zurück. Emily begann zu weinen.
«Bist du jetzt glücklich?», fragte Kate und funkelte Ellis zornig an. Er sah verwirrt aus, beinahe, als wolle er sich verteidigen.
Sie trat an den Laufstall, wo Angus ebenfalls weinte. Sie wollte ihn auf den Arm nehmen.
«L-lass ihn!»
Sie kümmerte sich nicht darum.
«Ich sagte, du sollst ihn l-lassen, verdammt!»
Kate erstarrte mitten in der Bewegung. Ellis’ Augen waren irre. Die Fingerknöchel um den Messergriff traten weiß hervor. Die
Messerspitze erzeugte eine straffe Vertiefung in Lucys Haut. Lucy hatte die Augen geschlossen.
Kate richtete sich langsam wieder auf. «Na schön. Es tut mir leid.»
«G-geh da weg!»
Sie trat in die Mitte des Wohnzimmers.
«Hör mal, ich weiß, dass du mir böse bist, aber lass es nicht an ihnen aus. Sie haben dir nichts getan.»
«Halt den Mund!»
«Lass wenigstens die Kinder gehen.»
«Ich s-sagte, du sollst den Mund halten!»
«Sieh sie doch an, sie sind zu Tode erschrocken! Es sind nur Kinder, um Gottes willen! Wie kannst du ihnen das antun?»
«Weil mein Kind tot ist!»
|375| Kate erschrak vor dem Aufschrei. Ellis’ Gesicht war wutverzerrt. Aber er unternahm nichts weiter. Sie wartete, bis ihr Atem
sich beruhigt hatte.
«Ich habe dich belogen», sagte sie, so gelassen sie konnte. «Ich habe keine Abtreibung machen lassen. Ich habe es nur gesagt,
weil –»
«Du lügst j-jetzt!»
«Nein –»
«Verdammte
Lügnerin
!»
«Hör mich doch an! Ich habe keine Abtreibung machen lassen –»
«Lügnerin! Verlogene
Hu-Hure
!»
Kate wich zurück, zum Schweigen gebracht von dem hasserfüllten Ausdruck auf seinem Gesicht.
«Er wird dir nicht glauben.» Lucys Stimme zitterte.
«Mund halten», sagte Ellis tonlos.
Tränen rollten über Lucys Wangen, als sie Kate ansah. «Ich habe ihm gesagt, dass du es nicht getan hast, aber er wollte nicht
glauben –»
«Redet nicht über mich, als wäre ich nicht da!»
, schrie Ellis, und Kate sah, wie sein Arm sich spannte.
Nein!,
dachte sie, als er das Messer zurückzog, aber an der Klinge war kein Blut zu sehen, als er Lucy auf sie zuschob.
Lucy taumelte nach vorn und wäre beinahe gestürzt. Kate wollte ihr helfen, hielt jedoch inne, als Ellis mit dem Küchenmesser
auf sie zeigte.
«Lass das!»
Lucy wischte sich mit der Handfläche über die Augen. Ihr Kopf wackelte wie bei einer alten Frau mit Schüttellähmung. Sie sah
Kate nicht mehr an.
«Setz dich da drüben hin», befahl Ellis ihr. «Auf den Stuhl.»
|376| Lucy tat, was er gesagt hatte. Er wandte sich an Kate.
«Hol das B-Band .» Er zeigte auf eine Rolle Paketband auf dem Couchtisch.
«Hör mir doch zu –»
«Hol das
verdammte B-Band
!»
Sie holte es.
«Wickel es zuerst um ihre Fußknöchel, dann um die Handgelenke.»
«Bitte, du kannst doch nicht –»
«Tu es!»
Kate sah Jack an, der gefesselt auf dem Sofa saß. Seine Augen starrten sie über den braunen Klebestreifen hinweg an und versuchten,
ihr irgendeine Nachricht zu übermitteln, aber Kate wusste nicht, was es war. Emilys Unterlippe zitterte. Nur Angus gab einen
Laut von sich, als er schluchzte. Aus der Nähe konnte Kate den säuerlichen Geruch ihrer ungewaschenen Körper riechen. Auf
dem Boden um sie herum lagen geöffnete und geleerte Konservendosen, von denen einige mit einer pelzigen, mehrere Tage alten
Schimmelschicht überzogen waren. Zwischen den Dosen lagen zusammengeknüllte Stücke Packband, zu viele, um sie zu zählen. Kate
schmeckte Galle in ihrer Kehle, als ihr die Bedeutung dessen, was sie da vor sich sah, aufging.
Wie lange war er schon hier?
«Die Knöchel zuerst», sagte Ellis.
Kate kniete sich vor Lucy hin. Das war nicht sie, die sich da bewegte. Sie war nur Zuschauerin; das alles passierte einer
anderen. Sie zog das Ende des Klebebands mit tauben Fingern von der Rolle, hielt aber inne, als Jack ein gedämpftes Grunzen
ausstieß. Sie sah zu ihm auf. Er starrte sie mit verzweifelter Intensität an. Dann schüttelte er heftig den Kopf.
|377| «Mach schon!», schrie Ellis und ging einen Schritt auf Angus zu, der schniefend in dem Laufstall hockte. Sie sah, wie er das
Messer fester umfasste. Mit einem letzten Blick auf Jack schlang Kate das Band
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