Flammenbrut
ein Fremder war.
Dann blinzelte er und lächelte, und es war wieder Alex.
«Was?», fragte er.
Kate ging hinüber und schlang die Arme um ihn. «Du warst meilenweit weg. Woran hast du gedacht?»
«An nichts Besonderes. Ich war einfach meilenweit weg, wie du schon sagst.»
Der Augenblick war verstrichen, aber nicht ohne eine leise Spur zu hinterlassen, wie Kaffeegeruch, der in einem Zimmer hängenbleibt.
Um das Gefühl endgültig zu vertreiben, fragte Kate etwas, das sie ihn schon seit einigen Tagen hatte fragen wollen.
«Warum gehen wir nicht manchmal zu dir, in deine Wohnung?»
|218| Alex zögerte. «Warum?»
«Weil ich gerne sehen würde, wo du wohnst. Du weißt schon, feststellen, ob du ordentlich bist oder chaotisch. Was für Bücher
du hast.»
«Das kann ich dir auch erzählen.»
«Es ist nicht dasselbe. Was ist los, versteckst du da irgendetwas?»
Es war als Scherz gedacht, aber Alex lachte nicht: «Nein, natürlich nicht.»
Sie spürte, wie sich abermals eine schwer fassbare Beklommenheit ihrer bemächtigte. «Also, warum gehen wir dann nicht ab und
zu zu dir?», fragte sie jetzt mit ernster Miene.
«Es ist nur …» Er runzelte die Stirn und wich ihrem Blick aus. Dann seufzte er. «Na ja, es ist eine ziemliche Müllkippe, das ist alles.
Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, irgendwas zu tun, weil ich nicht vorhatte, sehr lange dort wohnen zu bleiben. Ich glaube,
es wäre mir einfach peinlich, wenn du die Wohnung siehst.»
Die Alarmglocken, die noch einen Augenblick zuvor aufgeschrillt waren, verklangen langsam. «Das braucht es doch nicht. Mir
macht das nichts aus.»
«Nein, aber mir.» Er zuckte die Achseln. «Wenn du unbedingt rübergehen willst, können wir es tun. Aber gib mir zuerst ein
paar Tage Zeit, ein bisschen aufzuräumen, okay?»
Sie grinste. «Okay.» Erleichtert hakte sie die Sache innerlich ab. Sie hatte es nicht eilig.
Sie hatten jede Menge Zeit.
Außerdem war Kate gern mit Alex in ihrer Wohnung. Die vertraute Umgebung, die ihr früher so einsam erschienen war, kam ihr
jetzt behaglich und freundlich vor. Oft lagen sie bis spät in die Nacht hinein nebeneinander und |219| redeten. Alex war ein guter Zuhörer, und sie stellte fest, dass sie sich ihm mehr und mehr öffnete, ja, dass sie manchmal
sogar über Vorfälle sprach, die sie beinahe vergessen hatte. Eines Nachts erzählte sie ihm, wie sie als kleines Mädchen einmal
allein ins Kino gegangen war. Sie hatte ihn mit dieser Geschichte eigentlich zum Lachen bringen wollen, aber Alex schien nichts
Komisches darin zu sehen.
«Wie lange sind deine Eltern jetzt tot?», fragte er, als sie fertig war. Sie lagen nackt auf dem Sofa, hatten kurz zuvor miteinander
geschlafen. Kate hatte den Kopf in die Beuge seines Armes gelegt.
Sie rechnete zurück, während sie mit den Fingern sanft ein Muster auf seine Brust zeichnete. «Meine Mutter starb, als ich
neunzehn war. Mein Vater ist im Jahr davor gestorben.»
«Vermisst du die beiden?»
Die Frage ernüchterte sie. Sie stellte fest, dass sie darauf keine einfache Antwort geben konnte. «Ich hätte mich gefreut,
wenn sie dich hätten kennenlernen können», sagte sie. Alex sagte nichts dazu. Nach einem Augenblick griff Kate ihren Faden
wieder auf: «Nein, ich glaube, ich vermisse sie nicht, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Nicht so, wie ich jemanden
wie Lucy vermissen würde. Ich habe sie geliebt, und es war ein Schock, als sie starben, aber wir hatten uns ohnehin nicht
mehr viel gesehen, seit ich von zu Hause fort war. Und wenn, dann wussten wir nie, worüber wir reden sollten.»
«Bist du nicht mit ihnen klargekommen?»
Das war ein Thema, über das Kate sich nicht oft nachzudenken gestattete, aber nun unterzog sie den Gedanken einer gründlichen
Prüfung. «Nein, es war nicht so, als hätten wir uns nicht vertragen. Es lag wohl eher daran, dass |220| wir einander einfach nicht verstanden haben. Irgendwie schien es keine Gemeinsamkeiten zwischen uns zu geben. Ich hatte immer
das Gefühl, dass ich nie so war, wie sie mich gern gehabt hätten.» Sie lachte leise. «Manchmal habe ich mich ernsthaft gefragt,
ob da nicht eine Verwechslung vorliegt und man ihnen im Krankenhaus versehentlich das falsche Baby mitgegeben hat. Zunächst
einmal hatten sie sich eigentlich einen Jungen gewünscht. Und dann stellte meine Mutter auch noch fest, dass sie nach mir
keine Kinder mehr bekommen konnte. Also war ich in jeder Hinsicht eine große
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