Flammenbrut
Enttäuschung.»
«Haben sie das tatsächlich ausgesprochen?»
«Nicht mit so vielen Worten. Aber manchmal benahm meine Mutter sich so, als nähme sie es mir übel, dass ich nicht der Junge
war, den sie meinem Vater gern präsentiert hätte. Alles musste so sein, wie er es haben wollte. Es war, als wäre er der einzige
Mensch im Haus, dessen Bedürfnisse zählten. Er ging davon aus, dass sich alles nach ihm richtete, und meine Mutter sah ihre
Bestimmung darin, dafür zu sorgen, dass er bekam, was er wollte. Und von mir erwartete man dasselbe.» Sie schwieg kurz. «Wahrscheinlich
war es für alle eine Erleichterung, als ich zur Universität ging.»
Sie blickte zu Alex auf. «Und was ist mit dir?»
«Mit mir?»
«Wie war deine Kindheit?»
Er zog die Schultern leicht hoch.
«Nicht sehr spektakulär. Jedes Jahr Ferien in Übersee, Fahrräder zu Weihnachten. Stinknormal, schätze ich.»
«Was ist mit deinen Brüdern? Bist du mit denen gut ausgekommen?»
«O ja. Ich meine, sie haben mich natürlich manchmal ein bisschen gequält, da ich ja der Jüngste war, aber es |221| war immer nur im Spaß. Im Grunde haben sie mich eher beschützt.»
Kate betastete die metallene Kälte des heiligen Christophorus auf seiner Brust. Manchmal, wenn sie sich liebten, konnte sie
das Medaillon spüren; seine Kühle zeichnete dann rhythmische Muster auf ihren Brüsten nach. «Erzähl mir von deiner Großmutter.»
Er zögerte. «Was willst du wissen?»
«Einfach, was für ein Mensch sie war. Du hast gesagt, ihr hättet euch sehr nahe gestanden.»
Einen Augenblick lang herrschte Stille. Als Alex dann wieder zu sprechen begann, hatte seine Stimme einen weicheren Klang
angenommen. «Sie war großartig. Wenn ich mir das Knie aufschlug oder in Schwierigkeiten kam oder … Ganz egal, was es war, ich konnte immer zu meiner Großmutter gehen und es ihr erzählen, und sie hat zugehört. Und wenn ich
etwas getan hatte, das nicht richtig war, sagte sie es mir, aber sie wurde nie böse; sie hat mich nie angeschrien oder geschlagen.
Sie war immer da.»
Er blickte zur Decke. Seine Augen leuchteten.
«Wie alt warst du, als sie gestorben ist?», fragte Kate.
«Fünfzehn.» Sie hörte ihn schlucken. «Sie hat mir das hier …», er berührte den heiligen Christophorus, «… in der Woche vor ihrem Tod geschenkt. Es gehörte meinem Großvater, und sie sagte, ich solle es tragen, weil es mir Glück bringen
würde. Es war fast, als wüsste sie, dass sie nicht mehr lange da sein würde, um sich um mich zu kümmern.»
Er schwieg eine Weile.
«Du hast vorhin von deinen Eltern erzählt», fuhr er schließlich mit einem entschiedeneren Tonfall fort. «Bist du nach dem
Tod deines Vaters besser mit deiner Mutter zurechtgekommen?»
|222| Kate ließ ihm den Themenwechsel durchgehen. «Es hat im Grunde nicht viel geändert. Ich habe gehofft, dass sie nun vielleicht
aus seinem Schatten heraustreten würde. Dass sie anfangen würde, ihr eigenes Leben zu leben. Aber sie hat es nie geschafft.
Es war, als hätte sie an allem das Interesse verloren. Jedes Mal, wenn ich von der Universität nach Hause kam, schien weniger
von ihr übrig zu sein. Es war furchtbar. Als würde sie einfach verfallen, als sehe sie keinen Sinn darin, ohne ihn weiterzuleben.
Sie behielt all seine Kleidung, all seine Sachen und redete von ihm, als wäre er immer noch da. Sie kochte sogar seine Lieblingsmahlzeiten,
selbst wenn sie sie gar nicht mochte, so lange, bis sie selber starb.» Bei der Erinnerung hielt sie kurz inne. «Ich bin immer
noch nicht ganz dahintergekommen, ob es nun Liebe war oder nicht. Es schien jedenfalls nie etwas Gesundes zu sein. Ich habe
mir immer geschworen, dass ich mich niemals von irgendjemandem so beherrschen lassen würde.»
«Und dennoch hast du es beinahe getan.»
Sie sah Alex an. Zwei leuchtend rote Flecken brannten auf seinen Wangen.
«Du bist doch nicht eifersüchtig auf Paul, oder?», fragte sie.
«Nein, natürlich nicht.» Er mied ihren Blick. «Mir gefällt nur der Gedanke nicht, dass du mit jemandem wie ihm zusammen warst,
das ist alles.»
Halb belustigt, halb verärgert entwand Kate sich seiner Umarmung, bis sie ihm ins Gesicht sehen konnte. «Das ist aber keine
sehr professionelle Einstellung. Ich dachte, Psychologen stünden über solchen Dingen?»
«Vielleicht … vielleicht bin ich kein besonders guter Psychologe.»
Sie hatte den Eindruck, dass er eigentlich etwas ganz |223| anderes sagen
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