Flammenbucht
auch alt aus - alt und müde.« Sie wandte den Kopf zur Seite. Das offene Haar fiel über ihre linke Gesichtshälfte; langes, weißblondes Haar, dicht und fest; sie hatte es sorgfältig gekämmt. »Eine alte, müde, verbrauchte Frau bist du!«
Das harte Selbsturteil entsprach nicht ganz der Wahrheit. Tatsächlich sah man Ashnada ihr Alter kaum an; ein nüchterner Betrachter hätte sie wohl auf Ende Zwanzig geschätzt, denn ihr Körper war schlank, ihr Gesicht ebenmäßig. Doch es war nicht zu leugnen, daß ihre Gesichtszüge verbraucht wirkten; nur war es nicht das Alter, das diese Spuren hinterlassen hatte.
Es sind meine Augen, meine schrecklichen Augen…
Ashnada zwang sich dazu, den Blick des Spiegelbilds zu erwidern. Sie fürchtete sich manchmal selbst vor dem Funkeln ihrer schwarzen Augen; jeder Versuch, es zu unterdrücken, mißriet zu einem grotesken Mienenspiel.
Als ich dich zum ersten Mal sah, entdeckte ich in deinen Augen ein Funkeln,
hörte sie in sich eine Stimme, deren Tonfall sie erschaudern ließ,
ein Funkeln, das mir deine bedingungslose Freue verriet.
Angewidert wich sie dem Blick ihres Spiegelbilds aus, und die heisere Stimme in ihrem Kopf lachte voller Hohn, mischte sich mit anderen Lauten - dem Sirren eines Schwertes, dem Weinen eines Kindes, dem Geräusch einer Klinge, die sich in menschliche Körper schnitt. Das Gelächter in Ashnadas Kopf wurde lauter und schriller, und sie erkannte ihre eigene, verzerrte Stimme.
Morthyl…ich kehre zurück!
Wieder hob Ashnada den Kopf, um sich zu betrachten. Ihr Gesicht wirkte blasser als zuvor. Die Sprenkel und Sprünge der Spiegeloberfläche durchdrangen ihr Bild, als wären Stirn und Wangen mit Blut besudelt. »Ich wußte nicht, wie eitel du bist, Ashnada!«
Sie fuhr zusammen. Trotz ihres hervorragenden Gehörs hatte sie nicht bemerkt, daß Rumos Rokariac die Schiffskabine betreten hatte. Die Gabe, in einen Raum zu gelangen, ohne sich durch Schritte oder das Klappen der Tür zu verraten, hatte er schon oft unter Beweis gestellt. Diesmal war Ashnada entschlossen, ihm den Triumph nicht zu gönnen. Unbeeindruckt blieb sie vor dem Spiegel stehen, ohne sich umzusehen. Rumos Rokariac schritt langsam näher. »Eitelkeit verdirbt den Charakter einer Frau und verzerrt ihre natürliche Schönheit. Wenn diese Frau zudem eine mehrfache Mörderin ist, sollte der Blick in den Spiegel sie mehr erschrecken als zufriedenstellen.« Er stand nun hinter Ashnada; sie konnte sein graubärtiges Gesicht im Spiegel erkennen.
»Woher bezieht Ihr Euer Wissen über Frauen, Rumos?« erwiderte sie ungerührt. »Es dürfte Jahrzehnte her sein, daß Ihr einer Frau beigewohnt habt, falls Ihr jemals dazu in der Lage wart.«
»Mäßige deinen Tonfall, Weib!« Rumos trat einen weiteren Schritt näher. Sein altes Gesicht schimmerte im einfallenden Tageslicht wie eine wächserne Maske. »Ich habe mit dir zu reden. Bald werden wir Morthyl erreichen, die erste Station unserer Reise; ein Ort, der uns beiden wohlbekannt ist.«
»Ihr erzählt mir nichts Neues«, sagte Ashnada. »Verratet mir lieber, wie lange Ihr auf der Insel bleiben wollt. Ich möchte sie so schnell wie möglich hinter mir lassen.« Sie griff nach dem Kamm, den sie in eine Tasche ihres Gewandes gesteckt hatte, und fuhr fort, ihre Haare zu kämmen.
»Du kehrst wohl ungern an deinen ehemaligen Wirkungsort zurück«, stellte Rumos fest. »Dabei hast du doch auf Morthyl deinem früheren Herrn wertvolle Dienste geleistet - König Tarnac von Gyr, den man auch Tarnac den Grausamen nennt.« Er beobachtete zufrieden, wie Ashnada bei der Nennung des Namens zusammenzuckte. »Für eine einstige ›Gnadenlose‹ bist du erstaunlich schreckhaft! Was würde König Tarnac wohl sagen, wenn er eines seiner fähigsten Geschöpfe in diesem Zustand erblickte - den Kopf voller Schuldgefühle, das Herz voller Haß?« Ashnadas Augen verdüsterten sich. »Tarnac ahnt nicht einmal, daß ich noch lebe. Er denkt, ich sei auf Morthyl hingerichtet worden, so wie meine Gefährten, die er an die Sitharer verriet.« Mit wachsendem Zorn kämmte sie sich den weißblonden Schopf. Einige Haare verfingen sich zwischen den Zinken des Kamms, wurden von der Wucht ihrer Bewegungen ausgerissen.
»Er wird von deinem Überleben schon noch erfahren«, versprach Rumos. »Bis dahin muß ich mich darauf verlassen können, daß du dich von deinen Rachegelüsten nicht mitreißen läßt. Morthyl wird Erinnerungen in dir wachrufen, Ashnada. Wenn du nicht achtgibst,
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