Flammenbucht
Furcht vor dem Leben, und diese Furcht, so spürte ich, könnte sich jederzeit zum Haß gegen den Menschen wandeln, wenn sie ihm nicht ausgetrieben würde.« Ein trauriges Lächeln huschte über Aelarians Gesicht. »Einmal durchwanderte ich mit Uliman die Wälder westlich von Oublin dort, wo sich sonst keine Menschenseele hinverirrt, um uns nichts als dunkle Tannen und die Felsrücken des Hohen Gebirges, die in der Abendsonne leuchteten. Ich stieg mit ihm höher und höher, bis zum Gipfel, wo der Wald sich lichtete und den Blick über das Gebirge ermöglichte. Dort lag es zu unseren Füßen: das Meer, die Troublinische See, und sie funkelte und schimmerte im Sonnenlicht. Nie habe ich größeres Entzücken gesehen als in jenem Augenblick im Gesicht dieses Knaben.« Aelarian hob die Hand vors Gesicht, um seine Augen vor der aufspritzenden Gischt zu schützen. »Ich fragte Uliman, ob ihm der Anblick gefalle. Er sagte zu mir: ›Es ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Wenn ich erst Kaiser bin, werden meine Schiffe sämtliche Meere der Welt erobern, und ich werde den Menschen verbieten, auf das Wasser zu blicken, damit es allein mir gehört !‹ Da bückte ich mich und hob einen jener blauen Steine vom Boden auf, die man so häufig im Hohen Gebirge findet. Ich reichte ihn Uliman und sagte: ›Nimm diesen Stein. Er hat die Farbe des Meeres. Wenn du ihn hervorholst, wirst du stets an diesen Augenblick zurückdenken. Dann werden alle Meere der Welt dir gehören, ohne daß du ein Schiff aussenden oder den Menschen verbieten mußt, sich so wie du an der Schönheit der See zu erfreuen. ‹ Uliman nahm den Stein voller Freude an sich, und ich spürte in diesem Augenblick eine tiefe Verbundenheit zwischen uns.«
»Ihr hattet schon immer einen Sinn für schwülstige Momente«, stichelte Cornbrunn. »Der Knabe war sicher ganz verzaubert von Euren Worten.«
Aelarian ging nicht auf die Herausforderung seines Leibdieners ein. »Zwei Jahre später, als mich der Rat bereits auf Rumos' Drängen nach Iarac verbannt hatte, sandte mir Uliman einen Brief. Im Umschlag steckte der blaue Stein, und im dazugehörigen Schreiben teilte der Prinz mir mit, daß er es fortan vorziehe, die Meere durch seine Flotte zu beherrschen und nicht durch seine Phantasie. Es war ein boshafter Brief, geschrieben von Ulimans Hand, doch es waren nicht die Worte eines elfjährigen Knaben. Rumos hatte sie ihm diktiert, und ihre Botschaft war eindeutig: er wollte mir beweisen, daß er meinen Einfluß auf Uliman in weniger als einem Jahr zertrümmert hatte.« Aelarians Stimme zitterte. »Verstehst du, Cornbrunn - er hat es geschafft, ihn in kürzester Zeit zu verderben. Ich habe immer gewußt, wie sehr Uliman sich danach sehnte, zu jemandem aufblicken zu können, der nicht so schwach wie der eigene Vater war. Deshalb wollte ich ihn zu einem Menschen erziehen, der sich von niemandem beeinflussen läßt. Rumos aber machte ihn von sich abhängig. Eines Tages wird Uliman den Thron von Sithar erklimmen; dann wird sich zeigen, was dieser Priester mit ihm angerichtet hat.«
Cornbrunn legte Aelarian die Hand auf die Schulter. »Es ist nicht Eure Schuld. Ihr habt Euer Möglichstes getan, um den Prinzen zu einem guten Herrscher zu erziehen. Nicht Ihr habt versagt, sondern der Gildenrat, der Uliman den Einflüsterungen dieses Priesters aussetzte.« Er umarmte Aelarian, und dieser hielt sich an ihm fest wie ein Ertrinkender. Ihre Gesichter berührten sich. Dann küßte Cornbrunn ihn. Sein Kuß war sanft und tröstend. Aelarian schmeckte das Salz des Silbermeeres auf den Lippen des anderen, und für einen Moment verstummte der Wind, als wollte er die Verbundenheit der beiden Männer nicht stören.
Nach einer Weile löste sich Cornbrunn von Aelarian. »Laßt uns weitergehen, Großmerkant, damit wir dieses verfluchte Fischerdorf endlich erreichen. Was immer Ihr dort zu finden hofft - ich für meinen Teil werde mich mit ein paar Humpen Bier und einer warmen Mahlzeit zufrieden geben. Vielleicht bin ich dann sogar in Stimmung, mir einen weiteren Schwank aus Eurem Leben anzuhören.« Er reichte dem Großmerkanten die Hand, und Aelarian ergriff sie, ließ sich von Cornbrunn über die schrägstehenden Schieferplatten führen, und ein Lächeln kehrte in sein Gesicht zurück, das für einen Moment so erschöpft gewirkt hatte.
Und wieder packten sie seinen Kopf, trümmerten ihn gegen den Steinboden. Sein Blut glitzerte auf dem Granit, dazwischen zersplitterte Zähne, Speichel,
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