Flammendes Eis
zuzustimmen. Nikolaus war aber sogar noch unfähiger als die meisten anderen und weder vom Intellekt noch vom Temperament her für die Aufgabe geeignet.
Gleichwohl war er der absolute Herrscher über hundertdreißig Millionen Menschen und konnte über die Einnahmen aus zweihundertsechzig Millionen Hektar Land und diversen Goldminen verfügen. Streng genommen war er der reichste Mann der Welt. Er besaß acht prächtige Paläste und ein geschätztes Vermögen von acht bis zehn Milliarden Dollar.
Darüber hinaus war er das Oberhaupt der Kirche und wurde in den Augen des Landvolks nur noch von Gott übertroffen.«
»Eine solche Verantwortung würde für jeden eine ungeheure Last bedeuten.«
»Allerdings. Er verstand sich überhaupt nicht aufs Regieren, hasste das Dasein als Zar – abgesehen von der Gelegenheit, ein wenig Soldat zu spielen – und hätte seine Tage am liebsten in einem englischen Landhaus wie diesem hier zugebracht. Leider sollte es nicht sein.«
»Die Russische Revolution kam dazwischen.«
»Genau. Sie wissen vermutlich schon viel darüber, aber lassen Sie es mich noch einmal kurz zusammenfassen. Die konservativen Kräfte am Hof wären ihn schon vor der Revolution sehr gern losgeworden. Sie befürchteten, Russlands gewaltige Verluste im Ersten Weltkrieg würden einen Volksaufstand auslösen, und sie hassten den verrückten Mönch Rasputin, der großen Einfluss auf die Zarin ausübte. Es gab Demonstrationen, Nahrungsmittelknappheit, eine galoppierende Inflation, Streiks, Flüchtlingsströme und ständig wachsende Wut angesichts der Millionen junger Russen, die ihr Leben in diesem sinnlosen Krieg lassen mussten. Als typischer Autokrat reagierte Nikolaus zu heftig auf die Proteste, so dass seine Truppen sich gegen ihn wandten und er abdankte, nachdem man ihm versichert hatte, es sei zum Besten des Landes. Die provisorische Re gierung ließ ihn festnehmen und samt seiner Familie in dem Palast bei Sankt Petersburg, das damals Petrograd hieß, internieren. Dann wurde die Regierung von den gut organisierten Bolschewiki unter Lenin gestürzt, und für Russland begann das lange, tragische Experiment mit dem Marxismus.«
»Also haben Lenin und die Kommunisten den Zar und seine Familie geerbt.«
»So kann man es ausdrücken. Lenin ließ die kaiserliche Familie samt einiger Diener und Gefolgsleute in ein Anwesen nach Jekaterinenburg bringen, eine Bergbaustadt im Ural. Dort wurden sie im Juli 1918 angeblich alle erschossen. Lenin stand damals doppelt unter Druck: Die Hardliner in den eigenen Reihen wollten die gesamte Familie auslöschen, und die Deutschen, mit denen er in Verhandlungen stand, forderten Sicherheit für die Frauen; den Tod des Zaren betrachteten sie als interne russische Angelegenheit. Lenin ordnete die Hinrichtung an, schob sie aber linksradikalen Revolutionären in die Schuhe.
Diese Version wurde allgemein akzeptiert.«
»Worin bestand zu jener Zeit die Rolle Ihres Großvaters?«
»Der König hatte ihn beauftragt, die Ereignisse genau zu verfolgen. Georg und der Zar waren immerhin Cousins. Mein Großvater schickte daraufhin einen vertrauenswürdigen und des Russischen mächtigen Agenten namens Albert Grimley, der herausfinden sollte, was sich dort zugetragen hatte. Man könnte sagen, Grimley war so eine Art James Bond jener Zeit. Kurz nachdem die Weißgardisten die Kommunisten vertrieben hatten, traf er in Jekaterinenburg ein, fand Einschusslöcher und Blutspuren und sprach mit dem Armeeoffizier, der die Morde untersuchte. Dieser teilte Grimley vertraulich mit, dass höchstens
zwei
der Romanows umgebracht worden seien, nämlich der Zar und sein Sohn, der Thronerbe. Die Vorgesetzten des Offiziers verheimlichten diese Tatsache.«
»Aus welchem Grund?«
»Der kommandierende General der Weißen war ein reaktionärer Monarchist und sah es als seine heilige Mission an, Russland vor dem Niedergang zu retten. Er
wollte
, dass das Volk glaubte, die Bolschewiki hätten Frauen und Kinder ermordet. Als Märtyrer waren die Romanows seiner Sache dienlicher als lebende Menschen.«
»Was ist mit den Frauen passiert?«
»Das steht alles in Grimleys Bericht. Er nahm an, dass die Bolschewiki die Zarin samt ihrer vier Töchter verlegen ließen, bevor man sich der männlichen Romanows entledigte. Die Kommunisten befanden sich in einer militärisch prekären Situation, und Lenin wollte vielleicht die Familie als Unterpfand behalten, um sich für den äußersten Notfall abzusichern.
Manche Forscher
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