Flammendes Eis
immer in Chelsea wohnte, und stellte sich vor, wie nett es doch wäre, bei einem Tandoori in ihrem indischen Lieblingsrestaurant an der Oxford Street gemeinsam über alte Zeiten zu plaudern. Mit einer herkulischen Kraftanstrengung schob er den Gedanken beiseite. Einem reservierten britischen Aristokraten ein Familiengeheimnis zu entlocken, würde auch ohne die Ablenkung durch eine Frau schon schwierig genug werden.
Zavala gelangte problemlos durch den Zoll, holte den reservierten Mietwagen ab und brach zu den Cotswold Hills auf, einer ländlichen Gegend in Gloucestershire, einige Autostunden von London entfernt. Er hoffte, dass die Erbsenzähler der NUMA keinen Herzinfarkt erleiden würden, wenn er ihnen die Leihgebühr für das Jaguar-Kabrio in Rechnung stellte. Zavala betrachtete diesen kleinen Luxus als gewissen Ausgleich dafür, dass die NUMA fortwährend sein Liebesleben beeinträchtigte.
Wenn das so weiterging, könnte er genauso gut einem Kloster beitreten, grübelte er verärgert.
Er bog von der Fernstraße ab, folgte zügig dem gewundenen Verlauf zahlreicher Nebenstraßen, die manchmal nicht breiter als Feldwege waren, und bemühte sich nach Kräften, immer auf der linken Seite zu bleiben. Die malerische Landschaft glich den Bildern aus einem Fotokalender, und das Grün der wogenden Hügel und Weiden wirkte nahezu unnatürlich. Robuste gelblich braune Steinhäuser drängten sich zu kleinen Weilern zusammen und standen vereinzelt in der unverdorbenen Natur.
Lord Dodson wohnte in einem winzigen Dorf, das wie einer der Orte aus einem typisch britischen Krimi aussah, einem jener Bücher, in denen jeder für den Mord an dem Vikar in Betracht kam. Dodsons Haus lag etwas abseits an einer verschlungenen Gasse, die kaum breiter als der Wagen war. Zavala bog in einen von Hecken gesäumten Schotterweg ein und hielt neben einem uralten Morris Minor. Der Pickup stand vor einem stämmigen zweigeschossigen Gebäude geparkt, das aus braunem Sandstein errichtet und mit dunklen Ziegeln gedeckt worden war. Dieses Landhaus entsprach so gar nicht Zavalas Vorstellung von dem Anwesen eines britischen Lords. Das Grundstück wurde von einer Steinmauer begrenzt, hinter der sich ein farbenfroher Blumengarten befand. Knietief in der blühenden Pracht stand ein Mann mit geflickter Baumwollhose und einem ausgeblichenen Flanellhemd.
Zavala glaubte, er habe den Gärtner vor sich. Er stieg aus.
»Verzeihung, ich suche nach Sir Nigel Dodson.«
Graue Bartstoppeln bedeckten das Kinn des Mannes. Er streifte die schmutzigen Arbeitshandschuhe ab und streckte den Arm zu einem festen Händedruck aus. »Ich bin Dodson«, sagte er zu Zavalas Überraschung. »Sie müssen der amerikanische Gentleman sein, der angerufen hat.«
Joe hoffte, Dodson würde nicht bemerken, wie peinlich ihm die Situation war. Am Telefon hatte er nur den vornehmen Akzent des Lords gehört und sich daraufhin einen knorrigen, stocksteifen Engländer in Tweedsachen und mit gezwirbeltem Schnurrbart vorgestellt. In Wirklichkeit war Dodson klein, schmächtig und ziemlich kahl. Vermutlich hatte er die Siebzig bereits hinter sich gelassen, aber er wirkte so fit, als wäre er zwanzig Jahre jünger.
»Sind das Orchideen?«, fragte Zavala. Das Lehmziegelhaus seiner Eltern in Santa Fe war von Blumenbeeten umgeben.
»Ganz recht. Diese Art heißt Grüne Hohlzunge. Gegabelte Blätter und ein verzweigtes Wurzelwerk.« Dodson zog eine Augenbraue hoch. Auch sein Klischeebild des typischen Amerikaners schien erschüttert worden zu sein. »Ich bin erstaunt, dass Sie die Pflanzen erkannt haben. Sie sehen nicht wie die großen fleischigen Gewächse aus, an die jeder sofort denkt, wenn er den Begriff Orchidee hört.«
»Mein Vater war ganz verrückt nach Blumen. Einige der Blüten kamen mir irgendwie bekannt vor.«
»Nun, ich werde Sie gern herumführen, wenn wir fertig sind.
Nach der langen Reise müssen Sie doch durstig sein, Mr. Zavala. Sie sagten, Sie waren in Istanbul? Ich bin schon seit vielen Jahren nicht mehr dort gewesen. Faszinierende Stadt.« Er bat Joe, ihm zu folgen, und ging hinter das Haus zu einer großen gefliesten Terrasse. Dort rief Dodson durch die offene Glastür nach seiner Haushälterin, einer korpulenten, rotgesichtigen Frau namens Jenna. Sie beäugte Zavala, als wäre er ein Insekt, das ihr Herr von einer seiner Orchideen gepflückt hatte. Dann brachte sie ihnen große Gläser Eistee. Sie setzten sich unter eine efeuumrankte orientalische Pergola. Eine breite
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