Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Joona betrachtet seine abgewetzte Lederhose unter dem Arztkittel und die Cowboyboots unter den hellblauen Schuhschützern.
»Mit der Frau sind wir fertig … Elisabeth Grim«, sagt Åhlén. »Das einzig Auffällige an ihr sind meines Erachtens die Verletzungen an den Händen.«
»Abwehrverletzungen?«, fragt Joona.
»Aber auf der falschen Seite«, antwortet Frippe.
»Das können wir uns gleich ansehen«, sagt Åhlén. »Aber vorher wollen wir unsere Aufmerksamkeit Miranda Ericsdotter zuwenden.«
»Wann sind sie gestorben – könnt ihr mir dazu schon etwas sagen?«, will Joona wissen.
»Wie du weißt, sinkt die Körpertemperatur …«
»Algor mortis«, sagt Joona.
»Ja, und diese Abkühlung folgt einem wellenförmigen Graphen, der flacher wird, wenn sich die Körpertemperatur der Zimmertemperatur nähert.«
»Das weiß er doch alles«, wirft Frippe ein.
»Ergänzt durch die Beurteilung der Totenflecken und der Totenstarre lässt sich feststellen, dass die Frau und das Mädchen ungefähr gleichzeitig gestorben sein müssen, und zwar am späten Freitagabend.«
Joona sieht sie die Bahre zum Obduktionstisch rollen, bis drei zählen und einen leichten Körper in einem plombierten Transportsack hinüberheben. Als Frippe den Sack öffnet, entströmt ihm ein muffiger Geruch nach feuchtem Gewürzbrot und altem Blut.
Miranda liegt in der Körperhaltung auf dem Obduktionstisch, in der sie auch gefunden wurde, mit den Händen vor dem Gesicht und sich überkreuzenden Knöcheln.
Die Leichenstarre wird dadurch hervorgerufen, dass in den regungslosen Muskeln die Kalziumkonzentration steigt, so dass sich zwei verschiedene Proteine verbinden. Die Starre beginnt fast immer im Herzen und im Zwerchfell. Nach einer halben Stunde ist sie in der Kiefermuskulatur spürbar und nach zwei Stunden im Nacken.
Joona weiß, dass viel Kraft erforderlich sein wird, um die Hände von Mirandas Gesicht fortzunehmen.
Seltsame Ideen flackern ihm plötzlich durch den Kopf. Gedanken daran, dass sich hinter den Händen nicht Miranda verbirgt, Gedanken an ein verändertes Gesicht, an verletzte oder ausgestochene Augen.
»Bei uns ist übrigens kein Obduktionsersuchen eingegangen«, sagt Åhlén. »Warum hat sie die Hände vor dem Gesicht?«
»Ich weiß es nicht«, antwortet Joona leise.
Frippe fotografiert den Körper eingehend.
»Ich nehme an, dass es sich um eine erweiterte gerichtsmedizinische Obduktion handelt und ihr einen schriftlichen Bericht benötigt«, sagt Åhlén formell.
»Ja«, bestätigt Joona.
»Bei Mord steht einem eigentlich eine Sekretärin zu«, murrt der Obduzent, während er einmal um die Leiche herumgeht.
»Jetzt meckerst du wieder«, sagt Frippe lächelnd.
»Ja, das stimmt, ich bitte um Entschuldigung«, erwidert Åhlén und bleibt kurz hinter Mirandas Kopf stehen, ehe er weitergeht.
Joona denkt daran, dass Rilke einmal schrieb, die Lebenden seien besessen davon, einen Unterschied zwischen den Lebenden und den Toten zu machen. Er behauptete, es gebe andere Wesen, Engel, die keinen Unterschied bemerkten.
»Die Totenflecken deuten darauf hin, dass die Opfer still gelegen haben«, murmelt Åhlén.
»Ich glaube allerdings, dass Miranda unmittelbar nach dem Mord bewegt worden ist«, wirft Joona ein. »So wie ich das Blutmuster gelesen habe, ist ihr Körper schlaff gewesen, als er auf das Bett gelegt wurde.«
Frippe nickt bestätigend:
»Wenn es so schnell geschieht, entstehen keine Totenflecken.«
Joona zwingt sich stehen zu bleiben, während die beiden Ärzte eine minutiöse äußere Besichtigung der Leiche durchführen. Er schaut zu und denkt daran, dass seine eigene Tochter nur wenige Jahre jünger ist als dieses Mädchen, das nun still und fremd vor ihm liegt.
Mittlerweile scheint ein gelbes Aderngeflecht durch die weiße Haut hindurch. Um ihren Hals und an den Oberschenkel entlang lassen sich die Adern wie blasse Flusssysteme erahnen. Ihr flacher Bauch ist ein wenig runder und eine Spur dunkler geworden.
Joona verfolgt das Geschehen im Obduktionssaal, registriertdie Arbeit der Gerichtsmediziner, sieht, wie sachlich Åhlén den weißen Slip aufschneidet und ihn zur Analyse verpackt, lauscht ihrem Gespräch und ihren Feststellungen, befindet sich parallel dazu jedoch in Gedanken am Tatort.
Åhlén konstatiert das völlige Fehlen von Abwehrverletzungen, und Joona hört, dass er mit Frippe über die Abwesenheit von Weichteilverletzungen spricht.
Nichts deutet auf einen Kampf oder eine gewöhnliche
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