Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Wachmann ist.
»Jetzt gib mir das Geld«, sagt Nina und streckt die Hand aus.
Der Wachmann wühlt in seinen Taschen.
»Mist, ich hab nur achtzig«, sagt er.
»Aber du hast fünfhundert gesagt.«
»Was soll ich denn machen? Ich habe nur achtzig dabei.«
Nina seufzt und nimmt das Geld an.
Caroline eilt an der Tür vorbei und schiebt sich in das kalte, kleine Zimmer, das man ihr zugewiesen hat. Sie schließt die Tür und macht Licht. Sie sieht ihr Spiegelbild in dem schwarzen Fenster, bemerkt, dass sie von draußen gut zu sehen ist und zieht schnell das Rollo herunter.
Voller Unbehagen denkt Caroline an Tuulas helle Augen, als sie über diverse Serienkiller sprach. Die kleine Tuula war selbst verängstigt und wollte den anderen Angst einjagen, indem sie behauptete, dass Vicky ihnen in das Fischerdorf gefolgt sei.
Caroline beschließt, sich ausnahmsweise nicht die Zähne zu putzen. Nichts in der Welt wird sie dazu bringen, noch einmal in den langen, schwarzen Flur hinauszugehen.
Sie rückt den Stuhl zur Tür und versucht die Rückenlehne unter der Klinke festzuklemmen, aber es geht nicht. Sie holt ein paar Stapel Illustrierte und legt sie mit zitternden Händen unter die Stuhlbeine, so dass der Stuhlrücken die Klinke hochpresst.
Sie glaubt zu spüren, dass direkt hinter der Tür jemand durch den Korridor schleicht und richtet den Blick auf das Schlüsselloch. Ihr läuft ein Schauer über den Rücken. Plötzlich knallt es hinter ihr. Das Rollo schießt hoch und dreht sich knatternd.
»Großer Gott«, seufzt sie und zieht es wieder herunter.
Sie bleibt regungslos im Raum stehen und lauscht. Dann schaltet sie die Deckenlampe aus und beeilt sich, ins Bett zu kommen, kuschelt sich in die Steppdecke und wartet darauf, dass die Laken sich aufwärmen.
Sie liegt vollkommen still, starrt durch die Dunkelheit auf die Türklinke und denkt erneut an Vicky Bennet. Sie wirkte so schüchtern und zurückhaltend. Caroline glaubt nicht, dass sie so etwas Schreckliches getan hat, sie kann das einfach nicht glauben. Bevor es ihr gelingt, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben, erinnert sie sich an Mirandas zertrümmerten Schädel und das Blut, das von der Decke tropfte.
Plötzlich dringt das Geräusch vorsichtiger Schritte im Flur an ihr Ohr. Das Geräusch verstummt, dann bewegen sich die Schritte weiter und bleiben vor ihrer Tür stehen. Durch die flimmernde Dunkelheit sieht Caroline, dass jemand versucht, die Türklinke herabzudrücken, was der Stuhlrücken jedoch verhindert. Caroline schließt die Augen, hält sich die Ohren zu und betet zu Gott.
57
MITTEN IN DER NACHT ertönen träge knackende Laute, als ein Autokindersitz immer wieder gegen den großen Damm am Wasserkraftwerk von Bergeforsen schlägt.
Mit dem grauen Plastikrücken nach oben, so dass er kaum an der Wasseroberfläche zu erkennen war, wurde der Kindersitz im Wasser des Flusses Indalsälven angetrieben.
Seit in den Bergen Jämtlands der Schnee schmilzt, ist der Strom stark angeschwollen. Die Kraftwerke unterhalb des Sees Storsjön mussten immer wieder den Wasserstand ausgleichen, wenn die Dämme überzulaufen drohten.
Nach den großen Niederschlägen der letzten Woche öffnete das Kraftwerk von Bergeforsen schrittweise seine Überlauftore, bis sie schließlich vollständig geöffnet waren. Mehr als zwei Millionen Liter strömen nun jede Sekunde hindurch.
Monatelang hat der Fluss durch seine langsame Bewegung einem See geähnelt, aber nun ist die Strömung spürbar und stark.
Der Kindersitz stößt gegen den Damm, gleitet ein Stück zurück und trifft dann erneut den Rand.
Joona läuft auf dem schmalen Weg an der Dammkrone entlang. Zu seiner Rechten liegt wie ein glänzender Parkettboden der Fluss, zu seiner Linken führt eine glatte Betonwand senkrecht etwa dreißig Meter in die Tiefe. Der Weg verläuft in schwindelerregenderHöhe. Tief unter ihm schäumt tosend weißes Wasser auf schwarze Felsen. Mit chaotischer Kraft schießen die Wassermassen aus den Überlauftoren des Damms.
Weiter vorn, am Rand des Damms, stehen zwei Streifenpolizisten mit einem Wachmann vom Kraftwerk zusammen und blicken über das Geländer auf die glatte Wasserfläche hinab. Einer der Polizisten hält einen Bootshaken in der Hand, mit dem er auf eine Stelle im Wasser deutet.
Rings um den treibenden Kindersitz hat sich Müll angesammelt, der ebenfalls mit dem strömenden Wasser angetrieben wurde. Eine leere Plastikflasche wird gegen den Rand gedrückt, genauso wie
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