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Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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gezogen.
    Das rote Blech schimmert. Die Windschutzscheibe und beide Fenster auf der rechten Seite fehlen komplett, das Wasser strömt durch das Coupé.
    Joona schwimmt näher heran und versucht, nicht daran zu denken, welcher Anblick sich ihm unter Umständen bieten wird. Er muss in den Sekunden, die er unter Wasser bleiben kann, konzentriert sein und versuchen, möglichst viel zu registrieren, aber sein Gehirn beschwört dennoch Bilder des Mädchens herauf, das mit dem Sicherheitsgurt diagonal über dem Körper im Fahrersitz hängt. Ausgestreckte Arme, ein gähnender Mund, sich ringelnde, vor ihrem Gesicht wirbelnde Haare.
    Sein Herz pocht jetzt härter. Es ist dunkel hier unten. Dämmerung und tosende Stille.
    Er nähert sich der hinteren Autotür mit dem herausgeschlagenen Fenster und bekommt den leeren Rahmen zu fassen. Die Kraft des Flusses zieht seinen Körper zur Seite. Es knirscht metallisch, und er verliert den Halt, als der Wagen einen Meter mit der Strömung rutscht. Schlamm wirbelt auf, und er kann kaum noch etwas sehen. Er macht ein paar Schwimmzüge. Die Schlickwolke wird dünner und immer durchsichtiger.
    Über ihm, ungefähr drei Meter entfernt, ist die andere, sonnenbeschienene Welt.
    Ein mit Wasser vollgesogener Stamm gleitet kurz unter der Wasseroberfläche vorbei wie ein schweres Geschoss.
    Seine Lunge beginnt zu schmerzen, wird von leeren Krämpfen durchzuckt. Die Strömung ist in dieser Tiefe ziemlich heftig.
    Joona bekommt noch einmal die leere Fensteröffnung zu fassen und sieht, dass sich von seiner Hand Blut ausbreitet. Er zwingt sich tiefer hinunter, auf die Höhe der Autotür, und versucht, hineinzusehen. Schlammpartikel bewegen sich vor seinem Gesicht, Seegras und sich bewegende Pflanzen.
    Das Auto ist leer. Es ist niemand darin, kein Mädchen, kein Kind.
    Die Windschutzscheibe ist fort, die Scheibenwischer hängen lose. Die Körper können hinausgeschwemmt und taumelnd über den Grund des Flusses getrieben worden sein. Sein Blick registriert die nächste Umgebung des Autos. Dort gibt es nichts, woran die Körper der Kinder hätten hängen bleiben können. Die Felsen sind rundgeschliffen und die Wasserpflanzen zu dünn.
    Inzwischen schreit seine Lunge nach Luft, aber er weiß, dass man eigentlich immer noch ein wenig Zeit hat.
    Der Körper muss lernen zu warten.
    Beim Militär musste er mehrere Male zwölf Kilometer mit einer Signalflagge schwimmen, er ist ohne Taucherausrüstung mit einem Rettungsballon von einem U-Boot aufgestiegen, er ist unter dem Eis im Finnischen Meerbusen geschwommen.
    Er kann noch ein paar Sekunden länger auf Sauerstoff verzichten.
    Mit kräftigen Zügen schwimmt er um das Auto herum und betrachtet die einförmige Landschaft. Das Wasser zieht wie starker Wind. Schatten treibender Stämme huschen rasch über den Grund.
    Vicky fuhr im strömenden Regen von der Straße ab, das Ufer hinunter und ins Wasser. Nach dem Zusammenstoß mit der Ampel waren die Fenster bereits herausgeschlagen, und der Wagen lief sofort voll, rollte weiter und blieb unter der Wasseroberfläche stehen.
    Doch wo sind die Körper?
    Er muss versuchen, die Kinder zu finden.
    Fünf Meter weiter entdeckt er etwas Glitzerndes am Grund, eine Brille, die immer weiter vom Auto fortrollt, zu tieferem Wasser mit stärkerer Strömung. Er müsste zur Oberfläche zurückkehren, denkt aber, dass er vielleicht noch ein bisschen durchhält. Als er hinschwimmt, blitzt es vor seinen Augen, und er streckt die Hand aus und schnappt sich die Brille, als sie vom Grund hochgewirbelt wird. Er wendet, stößt sich ab, schwimmt aufwärts. Vor seinen Augen flimmert es. Er hat keine Zeit, vorsichtig zu sein, muss atmen, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Er durchstößt die Oberfläche, schnappt nach Luft und sieht den Stamm eine Sekunde, bevor er gegen seine Schulter schlägt. Es tut so weh, dass er aufschreit. Durch den kräftigen Stoß wird das Kugelgelenk des Arms aus der Schulterpfanne gerissen. Joona taucht wieder unter. In seinen Ohren läutet es wie zum Gottesdient. Vor ihm flackert die Sonne durch gebrochene Lichtreflexe.

59
    DIE KOLLEGEN VON DER POLIZEI der Provinz Westliches Norrland hatten in der Zwischenzeit ein Boot zu Wasser gelassen und waren bereits unterwegs, als sie sahen, wie Joona von dem Stamm getroffen wurde. Sie bekamen ihn zu fassen und zogen ihn über die Reling.
    »Entschuldigung«, hatte Joona gekeucht, »aber ich musste einfach wissen …«
    »Wo hat Sie der Stamm getroffen?«
    »Es sind keine

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