Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Fichtenzweige, Reisig und halb aufgelöste Kartonreste.
Joona blickt auf das schwarze Wasser hinab. Die Strömung zerrt an dem Sitz. Man sieht nur den grauen Rücken aus hartem Plastik.
Es lässt sich nicht erkennen, ob in dem Stuhl noch ein Kind festgeschnallt ist.
»Dreht ihn um«, sagt Joona.
Der zweite Polizist nickt kurz und lehnt sich so weit wie möglich über das Geländer. Er durchstößt die glatte Wasserfläche mit dem Bootshaken und zieht einen großen Fichtenzweig zur Seite. Dann kehrt er mit dem Haken zurück, führt ihn tiefer unter den Kindersitz und hebt ihn so an, dass er sich verhakt. Er zieht, und es klatscht, als sich der Sitz endlich dreht und das nasse, karierte Sitzkissen sichtbar wird.
Der Kindersitz ist leer, die Gurte bewegen sich sachte im Wasser.
Joona mustert den Kindersitz und die schwarzen Gurte und denkt, dass der Körper des Kindes aus dem Gurt gerutscht und zum Grund gesunken sein könnte.
»Wie ich schon am Telefon gesagt habe, es dürfte der richtige Sitz sein … Er scheint nicht sehr beschädigt zu sein, aber es ist natürlich schwierig, Details zu erkennen«, sagt der Polizist.
»Sorgt dafür, dass die Kriminaltechniker eine wasserdichte Tüte benutzen, wenn sie ihn bergen.«
Der Beamte lässt den Kindersitz vom Bootshaken fallen, so dass er sich wieder träge herumwälzt.
»Wir treffen uns bei Indal am Fuß der Brücke«, sagt Joona und geht zu seinem Auto zurück. »Da gibt es eine Badestelle, stimmt’s?«
»Was wollen wir da?«
»Baden«, antwortet Joona ohne den Anflug eines Lächelns und geht weiter zu seinem Auto.
58
JOONA HÄLT AM FUß DER BRÜCKE , steigt aus, lässt die Autotür offen stehen und blickt die Grasböschung hinunter. Von dem kleinen Sandstrand aus führt ein fest verankerter Badesteg direkt in das strömende Wasser hinaus.
Das Jackett öffnet sich im Wind, und unter dem dunkelgrauen Hemd erahnt man seine Muskeln.
Er geht am Straßenrand entlang und spürt den Dunst der warmen Vegetation, riecht den Duft des Grases und die Süße des Feuerkrauts.
Er bleibt stehen, bückt sich und hebt zwischen den Pflanzen einen kleinen Glaswürfel auf, legt ihn auf die flache Hand und blickt erneut zum Wasser hinab.
»Hier sind sie von der Straße abgekommen«, sagt er und zeigt die Richtung an. Einer der Polizisten geht zum Sandstrand hinunter, folgt dem angezeigten Kurs und schüttelt den Kopf.
»Hier gibt es keine Spuren, nichts«, ruft er zurückgewandt.
»Ich denke, dass ich recht habe«, sagt Joona.
»Das werden wir nie erfahren – es hat einfach zu viel geregnet«, meint der zweite Beamte.
»Aber unter Wasser hat es nicht geregnet«, erwidert Joona.
Er eilt mit großen Schritten zum Ufer hinunter, geht an den Polizisten vorbei und bis zur Wasserlinie. Er folgt dem Fluss einige Meter flussaufwärts und entdeckt unter Wasser Reifenspuren. Die parallelen Abdrücke im sandigen Grund führen in das schwarze Wasser hinab.
»Sehen Sie etwas?«, ruft der Polizist.
»Ja«, antwortet Joona und geht schnurstracks in den Fluss hinaus.
Das kühle Wasser umströmt seine Beine, zieht ihn sanft zur Seite. Er watet mit großen Sätzen hinaus. Es ist schwer, durch die glänzende, fließende Wasserfläche hindurch etwas zu sehen. Lange Wasserpflanzen bewegen sich schlängelnd. Blasen und Partikel treiben mit der Strömung.
Der Polizeibeamte folgt ihm in den Fluss hinaus und flucht vor sich hin.
Etwa zehn Meter weiter draußen erahnt Joona vage eine dunkle Formation.
»Ich rufe Taucher«, sagt der Polizist. Joona zieht rasch sein Jackett aus, reicht es dem Beamten und geht weiter.
»Was tun Sie da?«
»Ich muss wissen, ob sie tot sind«, antwortet er und reicht dem Beamten seine Dienstwaffe.
Das Wasser ist kalt, und die Strömung zerrt an seiner immer schwerer werdenden Hose. Ein Kälteschauer zieht von seinen Beinen das Rückgrat hinauf.
»Es sind Holzstämme im Fluss«, ruft der zweite Polizist. »Sie können hier nicht schwimmen.«
Joona watet weiter hinaus, der Grund fällt steil ab, und als das Wasser ihm bis zum Bauch steht, taucht er sanft unter. Als sich die Gehörgänge füllen, tost es in seinen Ohren. Kaltes Wasser drückt gegen seine geöffneten Augen. Sonnenstrahlen durchschneiden die Oberfläche. Aufgewühlter Schlick bewegt sich in unterschiedlichen Wirbeln.
Er tritt mit den Beinen, gleitet tiefer und sieht plötzlich das Auto. Es steht weiter draußen und neben den Reifenspuren. Die Strömung hat das Fahrzeug in Richtung Flussmitte
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