Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
Schlafzimmer.
Auf dem Doppelbett hat sie bereits ein kupferglänzendes Kleid von Karen Millen und einen goldfarbenen Slip von Dolce & Gabbana bereitgelegt.
Sie hängt den Kimono auf und parfümiert sich mit La Perla, wartet einen Moment und zieht sich dann an.
Als sie in die großen Salons kommt, sieht sie ihren Berater Robert Bianchi mit einer hastigen Bewegung sein Handy verbergen. Sofort wird sie von schmerzlicher Sorge übermannt.
»Was ist los?«, fragt sie.
Sein jungenhaftes, quergestreiftes T-Shirt ist aus der weißen Jeans gerutscht, so dass man seinen runden Bauch sieht.
»Der Fotograf von der französischen Vogue kommt zehn Minuten später«, sagt Robert, ohne ihrem Blick zu begegnen.
»Ich bin nicht dazu gekommen, die Nachrichten zu sehen«, sagt sie in einem Versuch, unbeschwert zu klingen. »Weißt du, ob die Polizei Vicky schon gefunden hat?«
In den letzten Tagen hat sie es weder gewagt, Nachrichten zuhören, noch Zeitungen zu lesen. Sie musste eine Tablette nehmen, um gegen zehn Uhr einschlafen zu können, und eine weitere, um gegen drei Uhr erneut einzuschlafen.
»Hast du was gehört?«, wiederholt sie schwach.
Robert Bianchi kratzt sich an den kurzgeschnittenen Haaren.
»Elin, ich will wirklich nicht, dass du dir Sorgen machst.«
»Das tue ich nicht, aber es …«
»Keiner wird dich in diese Sache hineinziehen.«
»Es ist bestimmt kein Fehler, sich auf dem Laufenden zu halten«, sagt sie nonchalant.
»Du hast mit dieser Sache nichts zu tun«, beharrt er.
Sie hat ihre Gesichtszüge wieder im Griff und lächelt ihn unverwandt und kühl an:
»Muss ich wütend auf dich werden?«
Er schüttelt den Kopf und zieht das T-Shirt über seinen Bauch.
»Auf dem Weg zu dir habe ich das Ende der Radionachrichten gehört, aber ich weiß nicht, ob es stimmt, was sie sagen«, antwortet er. »Offenbar haben sie das gestohlene Auto in einem Fluss gefunden … und ich glaube, man wollte die Suche mit Tauchern aufnehmen.«
Elin wendet erneut rasch ihr Gesicht ab. Ihre Lippen zittern, und ihr Herz schlägt, als würde es gleich platzen.
»Das hört sich nicht gut an«, sagt sie mit leerer Stimme.
»Soll ich den Fernseher einschalten?«
»Nein, nicht nötig«, flüstert sie.
»Es wäre natürlich furchtbar tragisch, wenn sich herausstellen sollte, dass sie ertrunken sind.«
»Sei nicht so arrogant«, sagt Elin.
Sie muss schlucken. Ihr Hals schmerzt, und sie räuspert sich schwach und schaut auf ihre Handflächen herab.
62
ELIN KANN SICH JEDERZEIT den Tag ins Gedächtnis rufen, an dem Vicky zu ihr kam. Das Mädchen stand mit verschlossenem Gesicht und gelblich verfärbten blauen Flecken auf den Armen in der Tür. Als Elin sie sah, war ihr sofort klar, dass Vicky die Tochter war, nach der sie sich gesehnt hatte. Bis dahin hatte sie nicht einmal gewusst, dass sie von einer Tochter fantasiert hatte, aber als ihr Blick auf Vicky fiel, erkannte sie, wie sehr sie sich ein Kind gewünscht hatte.
Vicky war ganz sie selbst, und so sollte es auch sein.
Anfangs kam das kleine Mädchen jede Nacht zu ihrem Bett gelaufen. Es blieb abrupt stehen, starrte Elin an und kehrte wieder um. Vielleicht glaubte Vicky, dass sie ihre richtige Mutter finden und sich an sie kuscheln können würde, und überlegte es sich dann anders, wenn sie Elin sah, vielleicht ertrug sie es aber auch nicht, ihre Angst zu zeigen, oder wollte das Risiko nicht eingehen, zurückgewiesen zu werden.
Elin hat noch im Ohr, wie sich die kleinen trapsenden Schritte auf dem Parkettboden wieder entfernten.
Manchmal wollte Vicky auf Jacks Schoß sitzen und das Kinderprogramm gucken, aber nie auf ihrem.
Vicky vertraute ihr nicht, wagte es einfach nicht, ihr zu vertrauen, aber sie betrachtete Elin oft verstohlen, das spürte sie.
Die kleine Vicky, das stille Mädchen, das nur spielte, wenn es sicher war, dass keiner es sah. Das sich nicht traute, seine Weihnachtsgeschenke auszupacken, weil es nicht glauben konnte, dassdie schönen Pakete tatsächlich ihm gehören sollten. Vicky, die vor jeder Umarmung zurückscheute.
Elin kaufte ihr einen kleinen weißen Hamster in einem großen und lustigen Käfig mit Leitern und langen Tunneln aus rotem Plastik. Vicky kümmerte sich in den Weihnachtsferien um ihn, aber bevor die Schule wieder anfing, war er auf einmal spurlos verschwunden. Es stellte sich heraus, dass Vicky ihn in einem Park in der Nähe ihrer Schule freigelassen hatte. Als Jack ihr erklärte, dass er in der Kälte vielleicht nicht
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