Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
überleben würde, lief sie in ihr Zimmer und schlug die Tür ungefähr zehn Mal zu. In der folgenden Nacht trank sie eine Flasche Bourgogne und übergab sich mehrfach in der Sauna. In derselben Woche klaute sie zwei Brillantringe, die Elin von ihrer Großmutter geerbt hatte. Sie weigerte sich zu erzählen, was sie mit ihnen gemacht hatte, und Elin bekam ihre Ringe nie zurück.
Elin wusste, dass Jack langsam, aber sicher die Nase voll hatte. Er sprach darüber, dass ihr Leben zu kompliziert war, um einem Kind Geborgenheit zu schenken, das so viel Fürsorge benötigte. Er zog sich zurück, hielt sich fern und hörte auf, sich mit dem anstrengenden Mädchen zu beschäftigen.
Sie begriff, dass sie dabei war, ihn zu verlieren.
Als das Jugendamt einen neuen Versuch unternahm, Vicky zu ihrer leiblichen Mutter zurückzubringen, spürte Elin, dass sie und Jack diese Pause wirklich brauchten, um zueinander zurückzufinden. Vicky hatte nicht einmal das Handy angenommen, das Elin ihr gekauft hatte, damit sie in Kontakt bleiben konnten.
Als Jack und Elin im Luxusrestaurant Operakällaren diniert und sich anschließend geliebt und zum ersten Mal seit mehreren Monaten ungestört eine ganze Nacht durchgeschlafen hatten, erklärte Jack am nächsten Morgen, dass er nicht mehr bei ihr bleiben wolle, wenn sie nicht aufhörte, für Vicky da zu sein.
Elin ließ es zu, dass er die Sachbearbeiterin anrief und ihr mitteilte, dass sie in Zukunft nicht mehr als Bereitschaftspflegeeltern zur Verfügung stehen wollten, dass sie einfach nicht mehr konnten.
Vicky und ihre Mutter verschwanden aus der offenen Anstalt in Västerås und versteckten sich in einem kleinen Haus an einem Spielplatz. Die Mutter ließ Vicky nachts häufig allein, und als sie achtundvierzig Stunden verschwunden blieb, machte sich Vicky alleine auf den Weg nach Stockholm.
Jack war an dem Abend nicht zu Hause, als Vicky im Treppenhaus stand und an Elins Tür klingelte.
Elin hatte nicht gewusst, was sie tun sollte. Sie erinnert sich, wie sie an die Wand gepresst im Flur gestanden und das Mädchen immer wieder an der Tür klingeln und ihren Namen flüstern gehört hatte.
Am Ende war Vicky in Tränen ausgebrochen und hatte den Briefeinwurf geöffnet.
»Bitte, kann ich nicht zurückkommen? Ich möchte bei dir sein. Bitte, Elin, mach die Tür auf … Ich bin auch ganz brav. Bitte, bitte …«
Als Jack und Elin sich von ihrer Aufgabe zurückgezogen hatten, waren sie von der Sozialpädagogin gewarnt worden:
»Sie dürfen Vicky nicht erklären, warum sie nicht mehr für sie da sein können.«
»Warum nicht?«, fragte Elin.
»Dann wird das Mädchen die Schuld natürlich bei sich suchen«, erläuterte die Sozialpädagogin. »Sie wird glauben, dass es ihre Schuld war.«
Deshalb war Elin mucksmäuschenstill geblieben, und nach einer Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, waren Vickys Schritte im Treppenhaus verklungen.
63
ELIN STEHT VOR DEM RIESIGEN BADEZIMMERSPIEGEL und sieht sich in die Augen. Die indirekte Beleuchtung führt zu Spiegelungen auf der ganzen Iris. Sie hat zwei Valium genommen und sich ein Glas Riesling aus dem Rheingau eingeschenkt.
Im großen Salon packt der junge Fotograf Nassim Dubois von der französischen Vogue in diesem Moment seine Ausrüstung aus, um die Beleuchtung vorzubereiten. Das eigentliche Interview wurde in der Vorwoche geführt, als Elin sich aus Anlass einer Wohltätigkeitsauktion in der Provence aufhielt, bei der sie ihre gesamte Sammlung französischer Kunst und das Jean-Nouvel-Haus in Nizza verkauft hatte, um einen Garantiefonds für Mikrokredite für Frauen in Nordafrika ins Leben zu rufen.
Sie entfernt sich vom Spiegel, greift nach dem Telefon und wählt Jacks Nummer, um ihm zu erzählen, dass Vickys Auto im Indalsälven gefunden worden ist. Sie lässt es klingeln, obwohl Jacks Anwalt ihr mitgeteilt hat, dass sämtliche Kontakte Vicky betreffend über seine Kanzlei laufen sollen.
Es ist ihr egal, ob Jack müde klingt. Sie ist nicht mehr in ihn verliebt, muss aber manchmal noch seine Stimme hören.
Vielleicht wird sie ihm auch nur erzählen, dass sie auf der Wohltätigkeitauktion auch seinen Basquiat verkauft hat. Aber bevor er sich meldet, überlegt sie es sich anders und bricht den Anruf ab.
Elin verlässt das Badezimmer, lässt eine Hand stützend über die Wand gleiten, geht durch den Salon zu der großen Glastürfront.
Als sie mit einer Langsamkeit auf die große Terrasse hinaustritt, die sich als sinnlich
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