Flammenopfer
Chauffeur von mir, Frau Kommissarin!«
Dr. Tobias Traube saß im Wagen und wartete, dass Brauer mit der Frau aus dem Haus kam. Seine Ahnung war richtig gewesen. Erst hatte er Kai Sternenberg in der Schönhauser Straße fahren sehen, dann noch zweimal in der Nähe. Wahrscheinlich war die Frau seine Mitarbeiterin, und er hatte sie vorgeschickt, um mit Brauer zu reden. Ein alter Vertrauensmann von Sternenberg. Brandrat oder mittlerweile Brandoberrat. Diplom-Chemiker. Aus irgendwelchen Gründen gut befreundet mit Sternenberg.
Die Frau verabschiedete sich von dem Feuerwehrmann und kam die Straße entlang an Traubes Wagen vorbei. Er erkannte das Gesicht. Eine Kollegin von Petra, ihren Namen wusste er nicht.
Am Lenkrad war die Schaltung für den CD-Wechsler montiert. Er schaltete auf die erste CD zurück, spielte alle Lieder an, schaltete auf die zweite und spielte dort alle Lieder an, dann sprang er zurück auf die erste, wählte willkürlich das zweite oder fünfte oder achte Stück, schaltete auf die dritte und vierte CD, ließ irgendeines der Lieder beginnen und schaltete das Gerät schließlich aus. Den Blick noch immer auf das Haus.
Der Gerätewagen wendete umsichtig in der engen Straße. Ein Feuerwehrmann sprang auf. Dann fuhr auch der Kommandowagen. Traube gab dem CD-Player wieder Strom und schaltete auf zufällige Auswahl, übersprang aber die ersten Takte. Vierte Platte, fünfte Platte, sechste Platte, erste Platte, dann ließ er den Finger auf dem Knopf und sah den Digitalzahlen zu, wie sie auf der Stelle hüpften und zu einem zuckenden Brei wurden. Über die Stereoanlage kam nur ein leiser Pfiff.
Schließlich stieg er aus, verriegelte die Schlösser und ließ die Elektronik schweigen.
Er ging direkt auf das Haus zu, bog aber kurz davor zum Nachbarhaus ab. Die Haustür war nur angelehnt. Er wusste das. Er stieg alle Etagen hoch, ohne Hast und ohne Pause, bis in die oberste Etage, in der es nur die Stahltür gab, die über eine Leiter zu erreichen war. Er kletterte die Sprossen hoch und steckte einen mitgebrachten Metallstab ins Schloss, hebelte hinauf und herunter, prüfte, ob er Spuren hinterließ, wobei er gar nicht erst nach Spuren eines anderen suchte, weil es die nicht geben würde. Dann öffnete er die Tür.
Es roch nach Rauch im Kehlgebälk. Obwohl es keine direkte Verbindung zur abgebrannten Wohnung gab, war der Rauch durch das Gemäuer gezogen oder über die Luft durch Pappe und Lattung gedrungen. Auf dem Dachboden standen Kisten, an einer Wäscheleine hingen Lappen, das Licht fiel hell durch viele kleine Dachfensterchen. Die Gaubenfenster waren vernagelt, aber die Abdeckung war morsch und ließ sich leicht von den Nägeln ziehen. Wenn man den Kopf herausstreckte, konnte man zwei verrußte Balken sehen.
Er stemmte sich durch eines der Fenster, riss sich dabei einen Splitter ein und entschied, dies zu ignorieren. Unterhalb der Traufe sprang ein Sims hervor, sodass er leicht mit zwei, drei Schritten zum Nachbardach kam. Es gab nur noch diese beiden verrußten Balken, der Rest war freier Himmel. Vor allem gab es keinen Menschen mehr hier oben. Jedenfalls in diesem Moment.
Er stand jetzt einigermaßen sicher auf dem Boden der ausgebrannten Wohnung. Der Schutt zu seinen Füßen interessierte ihn nicht, das zu Holzkohle verkümmerte Holz, die weiße Asche, das verquirlte Plastik in allen Farben. Er hob auch keine der Folien an oder versuchte, sich vorzustellen, wie die Umrisse der Wohnung Stunden zuvor ausgesehen haben mussten, wie es andere vor ihm getan hatten.
Stattdessen ging er vorsichtig, um nicht zu fallen oder einzubrechen oder irgendetwas zu verändern, Schritt für Schritt über das ganze Dach, bis er an den Sockel des Hauptkamins gekommen war, der zugleich den Übergang zum Nachbarhaus auf der anderen Seite bildete. Hier waren die Schäden geringer. Der Blitzableiter am Schornstein war geschwärzt, aber es war eher der Rost, der dieser Konstruktion in Jahren zugesetzt hatte.
Er sah sich um, dann umklammerte er den Schornstein, so weit es ging, und hangelte sich an seinen Ziegeln so um ihn herum, dass er auf das nachbarliche Flachdach kam, ohne einen der restlichen Ziegel in der Nähe des Kamins berühren zu müssen. Er wusste, wonach er suchte.
Die Dämmerung hatte noch nicht eingesetzt, aber es war kein gutes Licht. Die Bahnen der Dachpappe lagen im Schatten des Hauses gegenüber. Er suchte Zentimeter für Zentimeter ab und kniff die Augen zusammen. Dabei spürte er wieder den
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