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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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grundlegender Protesthaltung. Für mich ist das ziemlich viel Geschwurbel. Aber fällt euch was auf? Es gibt bei all diesen Texten keinen einzigen Hinweis auf eine Demo oder irgendeine Veranstaltung. Keinen konkreten Aufruf.«
    » Und keine Angabe eines Verantwortlichen im Sinne des Presserechts?«, fragte Isabel.
    » Natürlich nicht. Nicht mal eine E-Mail-Adresse.«
    Sternenberg schlürfte den Milchkaffee. » Wo siehst du die Verbindung zu unseren Brandstiftern, Tarek?«
    » Es gibt eine Menge Indizien. Erstens hier, diese Formulierung: › Der kämpferische US-Imperialismus sucht seine Akzeptanz im Oxymoron des gerechten Krieges und löst damit einen Flächenbrand aus, der die Völker und Kulturen der Welt ergreift und ins Verderben stürzt, sodass ihm der antiimperialistische Kampf freiheitlichen Zellentums entgegengesetzt werden muss, in dem wir sehen: dezentrale Zellen antiimperialistischer und antifaschistischer Gegenbrände.‹«
    Sternenberg lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. » Soweit ich das verstehe, ist es eher ein Wortspiel. Nicht unbedingt der Aufruf zu Brandstiftung.«
    » Und das hier?«
    » Eine Anleitung, wie man einen Molotow-Cocktail baut«, sagte Isabel.
    Sternenberg wurde unruhig. Ihm war alles nicht greifbar genug. » Das ist doch im Zeitalter des Internets alles längst jedem Kind bekannt. Was treiben wir denn hier? Tarek, nimm es mir nicht übel, aber das ist etwas zu dünn.«
    Tarek schob ihm ein Blatt hinüber, eine schlechte Kopie einer Kopie einer Kopie. Er zeigte auf einen Absatz: › So verschanzen sich die Rückgrate des ausbeuterisch-imperialistisch-faschistoiden Weltsystems in den Luxuswohnungen der Weltstädte und okkupieren Bezirke wie den Prenzlauer Berg (siehe Besuch des US-Präsidenten am Kollwitzplatz) und versuchen so, sich einer vormals oppositionellen Bevölkerung zu bemächtigen. Bei ihren Büros und Wohnungen muss angefangen werden, sie müssen ausgeräuchert und verjagt werden, damit der Kampf seine Gerechtigkeit findet.‹
    » Findest du das harmlos, Kai?«
    » Harmlos habe ich nicht gesagt. Es ist verquast. Das sind verblendete Leute, aber nicht Brandstifter.«
    » Kann es sein, dass deine altlinke Ader durchkommt?«
    » Wer ist hier altlinks? Zur Zeit von Rudi Dutschkes Ringelpullover hatte ich noch ’ne Strampelhose an. Ihr tut ja so, als wär’ ich damals mit Willy Brandt ins norwegische Exil gegangen.«
    Tarek hustete vor Lachen. » Und wie war das damals, als ihr die New Model Army gegründet habt? Erzähl doch noch mal von deiner spannenden Zeit als Junker Jörg auf der Wartburg …«
    Isabel blieb ernst. » Was hast du noch über diese Urheber herausgebracht?«
    » Sie reden insgesamt dreimal davon, Brände zu legen. Wenn auch nicht konkret. Anhand der Verteilung der Flugblätter können wir den Aktionsradius der Gruppe bestimmen. Sie ist auf den Prenzlauer Berg beschränkt. Ein paar Ausläufer nach Friedrichshain hinein. Und einen von denen habe ich beim Kleben erwischt. Habe ihn als Genosse angesprochen. Und er wirkte nicht freundlich. Hat auch mein Gerede vom › Genossen‹ gänzlich falsch verstanden. Und noch etwas: Er war kaum älter als fünfzehn.«
    » Das genau meine ich«, sagte Sternenberg. » Verblendete Kinder. Glaubst du im Ernst, dass die sich Anwälte und Notare heraussuchen, die mit Immobiliengeschäften Knete machen, und dass sie bei denen dann Brände legen und es darauf ankommen lassen, dass es Tote gibt?«
    Er blickte in zwei unbewegte Gesichter.
    » Also, Leute«, fuhr er fort, » da sind wir unterschiedlicher Meinung, glaube ich.«
    » Noch was«, sagte Tarek. » Dein verblendetes Kind, das gegenüber von der Feuerwache in der Oderberger Straße am helllichten Tag Flugblätter an die Laternen geklebt hat – und sich ziemlich damit abmühte, weil an diesen Betonmasten die Klebstreifen nicht richtig haften –, dieses Kind hat mir gesungen, wo ungefähr sie ihren Treffpunkt haben. Ich wollte gleich hingehen, aber ich dachte mir, es wäre nicht gut, es zu übertreiben. Jemand anderes sollte das machen, Isabel am besten.«
    » Nein, ich mache das«, sagte Sternenberg. » Gib mir die Adresse, ich mache das. Ich wohne in der Nähe. Du nimmst dir einen dieser Anwälte vor, den, der mit dem Schrecken davongekommen ist.«
    » Ähm, Chef …«
    » Wenn du mit der Chefnummer kommst, Tarek, ist immer was faul.«
    » Ich hatte da diese Sache.«
    » Was für eine Sache?«
    » Meine Eltern. Ihre Silberhochzeit. Du weißt doch, Familie wird bei uns

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