Flammenpferd
Shirehorses.“
„Zwei was?“, fragte Bea Becker neugierig.
„Das sind die größten Pferde der Welt“, erklärte Hella mit einem Lächeln.
In den nächsten zwanzig Minuten widmeten sie sich den Umbauplänen. Es gefiel Hella sehr, was Bea Becker und Moritz Kerner anschaulich erläuterten. Zwei großzügige Untersuchungs- und Behandlungsräume sollten unten entstehen und darüber, im Dachgeschoss, die Büroräume und, für den Fall der Fälle, zwei Gastzimmer für Pferdebesitzer oder Klinikpersonal. Dafür musste das Dach aufgestockt werden; ein Auftrag, den Dieter Freytag gern übernehmen wollte.
Er blieb, als sich die Architekten verabschiedeten, und gab vor, Hella die Details zum neuen Dachstuhl zu erklären, aber eigentlich war alles gesagt.
„Dir geht es um etwas anderes“, sagte sie, verblüfft darüber, wie schnell sich die Vertrautheit der Kindheit einstellte. „Willst du einen Kaffee? Lass uns ins Haus gehen.“
19
Ein Tee wäre ihm lieber, meinte er, als sie die Küche betraten, und machte eine freundliche Bemerkung über den Kaminofen, der von Jana mit liebevoller Hingabe in Gang gehalten wurde. Hella füllte den Wasserkocher und stellte zwei Becher bereit. Dieter Freytag zwängte die langen Beine unter den Tisch und verschränkte die Arme. Bis der Tee aufgebrüht war, redeten sie über die Zeit im Verein und erinnerten sich an ihre liebsten Schulpferde und die aufregenden ersten Turniere. Nur zögernd sprachen sie über Thies, Philipp und Nelli. Er wirkte ehrlich betroffen über den Tod seiner früheren Reiterfreunde.
Hella schenkte den Tee ein. Der Becher verschwand in seiner Faust.
„Was willst du mit mir besprechen?“, fragte sie.
Er räusperte sich. „Ohne Nellis Hilfe hätte ich das vergangene Jahr nicht überlebt, geschäftlich nicht überlebt, meine ich. Die Zeiten sind hart, wie du weißt. Zwei, drei größere Aufträge und Kunden, die hinterher nicht zahlen, und ein kleiner Betrieb wie meiner steht vor dem Aus. Dazu kamen persönliche Probleme, Schulden eben, und das nicht zu knapp. Jedenfalls brauchte ich dringend Geld. Bargeld, meine ich. Schwarzgeld, das nicht über die Bücher läuft, verstehst du? Nelli hat mir den Auftrag für den Paddockstall gegeben. Offiziell zu einem günstigen Preis und mit billigsten Materialen gebaut, aber in Wirklichkeit hat sie an nichts gespart. Es war mein bester Auftrag, Meisterarbeit vom Feinsten. Ich konnte in aller Ruhe arbeiten. Nelli hat mich großzügig entlohnt. Steuerfrei, sozusagen.“
Hella staunte über seine Offenheit. Was er ihr anvertraute, erklärte endlich die Ungereimtheiten, die ihr aufgefallen waren, als sie die wenigen Rechnungen über den Paddockbau mit dem ansehnlichen Ergebnis verglichen hatte. Der Stall war alles andere als billig und grob zusammen geschustert, wie man an Hand der Rechnungen annehmen musste. Nelli hatte behauptet, sie hätte den Paddockstall und die Reithalle mit dem Verkauf eines Ackers bezahlt – die Stadt brauchte das Gelände für ein Gewerbegebiet. Der Erlös hätte unmöglich ausreichen können. So billig wurde auch im Hamelner Landkreis nicht gebaut. Womöglich hatte Nelli auch beim Bau der Reithalle Schwarzgeld fließen lassen. Stellte sich die Frage, woher das Geld stammte.
„So wie ich meine Schwester kannte, war ihr Geld nicht besonders wichtig gewesen, solange es ihr zum Leben reichte und ihre Tiere satt wurden“, sagte Hella nachdenklich.
Dieter stimmte ihr zu. „Sie war mir gegenüber nicht kleinlich. Auf ihre Art genoss sie es, mit dem Geld, wie soll ich sagen, ihre Macht zu demonstrieren. Sie ließ mich immer eine Weile zappeln, meine ich, und hatte ihren Spaß dabei“ , fügte er verlegen hinzu.
„Kannst du dir vorstellen, woher sie das ganze Geld hatte? Der Erlös aus dem Grundstücksverkauf steckt bis auf den letzten Cent in den Neubauten. Das habe ich nachgeprüft.“
Er zögerte und nippte am Tee. „Mit der Pferdepension hat sie so große Summen bestimmt nicht verdient. Sie machte irgendwelche heimlichen Geschäfte, das hat sie mal durchblicken lassen. Legal war es wohl nicht.“
Aus den Unterlagen, die Thies ihr vor seinem Tod anvertraut hatte, wusste Hella, dass Thies und Philipp von ihrer lieben Schwester erpresst worden waren. Geld hatte sie nicht verlangt, stattdessen Anerkennung und Liebe oder was sie darunter verstand, dazu Hilfsdienste aller Art und andere Gefälligkeiten. Vielleicht hatte es weitere Opfer gegeben, bei denen sie auf finanzielle Zuwendungen
Weitere Kostenlose Bücher