Flammenpferd
wider Willen über Swantjes Besorgnis um Nellis Eigentum. „Was vermutest du in den Ordern? Die blaue Mauritius?“
Swantje schwieg, was selten vorkam. Sie war beleidigt.
Hella bemühte sich um eine Entschuldigung. „Ich bin leicht gereizt. Mir fällt es schwer, die Sachen meiner Schwester auszuräumen. Ich wäre froh, wenn du mir dabei hilfst. Magst du dir Nellis Kleiderschrank vornehmen?“
Swantje wandte sich mit einem Schulterzucken ab und zog mit beiden Händen gleichzeitig die Schranktüren auf. Missmutig musterte sie den dürftigen Inhalt. „Wollte deine Schwester einer Vogelscheuche Konkurrenz machen? Das taugt alles nur für den Reißwolf!“
Hella sah von dem überquellenden Ordner auf, der nichts anders enthielt als die Kataloge der Hengstleistungspüfungen der letzten hundert Jahre. Die Blätter waren eng mit Anmerkungen bekritzelt. Sie stellte den Ordner auf den Fußboden. „So schlimm wird es nicht sein. Vielleicht mag Jana sich etwas aus der Kleidung heraus suchen. Der Rest geht in die Altkleidersammlung.“
„Dann soll Jana den Schrank ausräumen“, sagte Swantje erleichtert und deutete auf die Kommode aus dunklem Eichenholz, die dem Schrank gegenüber stand. „Was ist in den Schubladen?“
„Keine Ahnung, sieh einfach nach.“
Hella nahm sich eine Mappe mit Fachartikeln aus dem Parcours vor. Nicht uninteressant, auch nach mindestens zehn Jahren nicht. Trotzdem gesellte sich die Mappe zu den Hengstleistungsprüfungen.
„Lauter Krempel hier oben“, rief Swantje und zog die mittlere Schublade auf.
Hella vertiefte sich in einen Ordner mit Rechnungen. Ihre Nachforschungen wurden von Jana unterbrochen, die leichtfüßig die Treppe hinauf trabte und ins Zimmer stürmte. „Maren schickt mich. Jackson hat sich verletzt, und du sollst dir das ansehen. Jette ist schon nach Hause gefahren.“
Hella erhob sich und ließ die Rechnungen offen auf dem Bett liegen. „Ich kümmere mich darum.“
„Ich mache hier weiter“, verkündete Swantje. Jana warf ihr einen finsteren Blick zu, bevor sie Hella aus dem Zimmer folgte.
„Wenn du willst, kannst du dir von den Kleider nehmen, was du brauchst, Jana“, bot Hella dem Mädchen an, als sie den Hof überquerten. Jana richtete im Gehen ihren Blick auf Hella. Ihre grünen Katzenaugen schauten so unergründlich wie immer. Hella mochte diesen Blick nicht.
„Wieso lässt du sie in den Sachen deiner Schwester herum wühlen?“, fragte Jana im genervten Tonfall einer Sechszehnjährigen.
„Sie wühlt nicht, sie hilft mir“, erklärte Hella streng.
Das Mädchen spitzte schnippisch die Lippen. „Bist du sicher, dass sie dir helfen will?“
Jana ging sehr schnell, und Hella, die auch nicht langsam war, hatte Mühe dem Mädchen zu folgen. „Wie meinst du das?“
„Ich würde nicht jede Wildfremde in meinem Haus herumstöbern lassen!“
Mehr verblüfft als verärgert blieb Hella stehen. „Ach, und was weiß ich über dich? Du gehst auch bei mir ein und aus! Und hältst dich nicht an meine Anweisungen, was Fadista betrifft. Also urteile du nicht über Swantje!“
Jana war weiter gelaufen. Ihre sehnigen Beine entfernten sich mit weiten Schritten, und Hella konnte die Antwort kaum verstehen. Es klang wie „Dein Risiko“ und „Schön blöd.“ Hella hatte keine Lust, dem auf den Grund zu gehen. Janas zickiges Benehmen fiel ihr gehörig auf die Nerven.
20
„Die Wunde wird bestimmt gut heilen, dank Ihrer schnellen Hilfe“, sagte Jette zuversichtlich und kraulte den Nacken ihres Pferdes. Sten Johansen betrachtete zufrieden sein Werk. Er hatte gerade einen Besuch in Hilligsfeld abgeschlossen, als Hella anrief, und war noch vor Jette auf dem Hof eingetroffen. Nun hielten vier silbrige Klammern die aufgeplatzte Haut über Jacksons Röhrbein zusammen. Vermutlich eine Bisswunde; der wuchtige Fuchs ging keinem Streit aus dem Weg.
Hella übergab dem Tierarzt die Zange und das Desinfektionsmittel, die sie für ihn bereitgehalten hatte, und bat ihn, sich bei der Gelegenheit noch einmal Melodys Sprunggelenk anzusehen. Die junge Stute trottete neugierig zum Tor und schob ihrem Kopf zuvorkommend ins Halfter. Hella führte sie auf den Weg, der zwischen den Ausläufen hindurch zur Scheune hin-über führte. Johansen nahm das geprellte Sprunggelenk in Augenschein und betastete es mit geübtem Griff. Von der Schwellung war kaum etwas zu spüren. Trotzdem wollte er das Pferd gern in Bewegung sehen. Auf ein Schnalzen trabte Melody an und lief munter neben
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