Flammenpferd
sieht er aus wie verkleidet, stellte Hella fest. Er wäre ganz in der Nähe gewesen, erklärte er mit einem entschuldigenden Lächeln, und Hella hätte ihm neulich einen Rundgang über den Hof versprochen.
„Darf ich vorstelle, Dr. Julian Mann“, sagte sie förmlich. „Dr. Sten Johansen.“
Die Männer schüttelten sich die Hände. Johansen machte den Anfang. „Sind Sie Mediziner?“
„Wenn ich komme, ist es für den Arzt zu spät“, erklärte Julian Mann mit einem leisen Lächeln.
„Deute ich das richtig?“, fragte Johansen. „Ihr An-zug ...“
Julian Mann gab höflich Auskunft und wandte sich dann an Hella. „Wenn Sie zu tun haben ...“
„Ich habe Zeit, wir sind fertig“, erklärte Hella.
Johansen versprach, sich wegen des Vortrags zu melden, stieg in den Kombi und fuhr davon.
Wie so oft, strich ein nasskalter Wind durch das Hameltal. Julian Mann tauschte das Jackett gegen eine blank gewetzte Wachsjacke und wich sorgsam den Matschflecken aus, die seinen schwarzen Schnürschuhen gefährlich werden konnten. Er war ein aufmerksamer Zuhörer, und Hella gewann zunehmend Spaß an der Führung.
Verwundert musterte er den Paddockstall. „Der Stall hat kaum Wände! Wird das den Pferden im Winter nicht zu kalt?“
Hella lächelte. „Wir Menschen haben es gern kuschelig warm. Pferde dagegen sind Steppenbewohner. Sie brauchen frische Luft und wollen das Wetter erleben. Muffige Stallluft ist Gift für sie. Sehen Sie sich Fadista an!“
Draußen vor der Boxentür hatte er sich im nassen Sand niedergelassen. Er döste im Liegen und störte sich nicht am munteren Wind, der die schwarze Mähne aufbauschte und mit dem schweren Schopf spielte. Sie hatten den Hengst nicht aufjagen wollen und waren auf dem Weg stehen geblieben. Er fühlte sich trotzdem gestört und war mit einem Satz auf den Beinen.
Julian pfiff leise durch die Lippen. „Donnerwetter! So stelle ich mir ein Pferd vor! Wie ein zum Leben erwecktes Denkmal aus den Herrenhäuser Gärten.“
Nachdem Hella ihm ein wenig von Fadista erzählt hatte, betrachtete er den Hengst nachdenklich. „Dann sind Sie also eine Pferdeflüsterin.“
Hella wehrte ab. „Den Begriff mag ich gar nicht. Ich halte mich nur an das, was ich in all den Jahren über Pferde gelernt habe.“
Fadista schnaubte und wagte sich näher an den Zaun heran. Mit jedem Tag, mit dem er zu Ruhe und Gelassenheit fand, gewann er an Schönheit. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dieses Pferd wollte sie nicht anderen Menschen überlassen. Sie wollte ihn allein für sich haben. Es war ein beunruhigender Wunsch, ein Verlangen, dass ihr in solcher Intensität vollkommen fremd war.
Julian schaute sich auf dem Gelände um. Hella tat es ihm nach und versuchte, diesen rückwärtigen Bereich des Hofes mit den Augen eines unvoreingenommenen Besuchers zu betrachten. Die Paddocks mit ihren stabilen Umzäunungen waren sauber und trocken, die Pferdeanhänger standen in einer Reihe ausgerichtet vor dem Giebel der Scheune, und unter dem Schleppdach, das die hintere Wand des Kälberstalls überragte, lagerten Rundballen aus Heu und Stroh in einem ordentlichen Stapel. Einen ganz anderen Eindruck vermittelten die beiden Schuppen, die sich wie übergroße Holzkisten schief und morsch gegen die rückwärtige Mauer des Pensionsstalls lehnten. Ein Schandfleck, der längst entfernt gehört hätte.
Hella kam einer Bemerkung zuvor. „Die Schuppen sind voller Gerümpel. Mir graust es so vor dem Ausräumen! Sonst hätte ich sie längst abreißen lassen.“
„Darf ich mal rein sehen?“, fragte er neugierig und strebte davon, ohne auf ihre Antwort zu warten.
Beide Schuppen standen eng aneinander, und die Bohlenwände waren über die Jahre morsch und grau geworden. Der rechte Schuppen mochte so groß wie eine Garage sein, und der Schuppen links daneben war breiter und tiefer angelegt, so dass er um anderthalb Meter hervor ragte und auf diesem kurzen Wandstück genügend Platz für eine Tür bot. Julian war zuerst am rechten Schuppen angelangt und drückte die morsche Holztür auf, die sich knarrend öffnete und die Sicht auf einen wirren Haufen Krimskrams frei gab. Auf einen flüchtigen Blick erkannte Hella abgewirtschaftete Gartengeräte, ein verbogenes Fahrrad, dem die Reifen abhanden gekommen waren, und darunter zersplitterte Holzlatten und grob gespaltene Klötze. Ein Vorrat an Brennholz, mit dem der Kaminofen noch viele Winter Freude hätte. An einem rohen Dachbalken baumelte, überzogen von grauem
Weitere Kostenlose Bücher