Flammentod
hatte. Mit der passenden Perücke und etwas Make-up glichen sich die beiden tatsächlich sehr. Von weitem konnte man sie für Geschwister oder sogar Zwillinge halten.
»Was haben Sie vor?« Ich zerrte an meinen Fesseln, doch es war sinnlos. Ich spürte Nässe auf dem Gesicht. Es mußten Tränen und Rotz sein - die Reaktion auf den Reizgasangriff. Während ich noch darüber nachdachte, begann Gerd Diepeschrath, etwas vor sich hin zu sagen. Es klang wie eine Litanei.
»Sechzehnhundertelf am Februar dem elften Scheuer Trein zu Nittum geklagt, welcher Maßen ihr Mann zu verschiedenen Malen ihr alles Eigentums und geringes Armut, so daß sie im Haus gehabt, mit Aufschlagung der Türen, Finsteren und Schlösser aus dem Haus, wider ihren Willen hinweggenommen …«
»Was erzählen Sie da?« rief ich, aber ich wußte es genau. Gerd Diepeschrath zitierte aus fast vierhundert Jahre alten Akten - den Anklageakten der Katharina Scheuer.
»Nach der Zeugenvernehmung wurden der Angeklagten achtzehn Fragen zur Beantwortung vorgelegt: Wo und von wem sie die Zauberkunst gelernet? Nirgends und von niemandem. Wo und an welchem Ort solches geschehen? Nirgends. Wer ihre Mitgesellen gewesen? Niemand. Ob sie nicht ihrem Schöpfer abgesaget und sich dem leidigen Satan zugepflichtiget? Nein. Wo und wann solches geschehen? Nirgendwo und nirgendwann. Ob sie nicht vor und nach mit dem bösen Feind ihr Unzucht getrieben und buliert habe? Nein.«
»Gerd, was soll das? Kommen Sie zu sich!«
Er verstummte, und eine Weile hörte man nur das Rauschen der Autos.
»Ich bin Katharina«, sagte er. Dann ging die Litanei weiter: »Item bekennt, daß ihr Buhle Lucifer auch ein- oder fünfmal mit ihr allhier im Turm buliert…«
»Welcher Turm?« fragte ich, aber ich wußte es. Er meinte den Bensberger Hexenturm.
»… seie in Gestalt eines feinen Mannes in schwarzen Kleidern zu ihr kommen und sei kalter Natur …«
»Katharina, hören Sie auf.«
Die Litanei verstummte. »Ah, Sie lernen schnell«, sagte Gerd Diepeschrath mit normaler Stimme.
»Was haben Sie mit dieser Katharina zu tun?« fragte ich. »Warum haben Sie Ihren Vater umgebracht?«
»Sie war eine Frau«, sagte er.
»Und Sie sind ein Mann.«
»Ich bin eine Frau«, beharrte er. »Eine Frau im Körper eines Mannes.«
Nun war mir alles klar: Die Unterlagen in dem Haus waren ein Operationsbericht für eine Geschlechtsumwandlung gewesen. Ich klaubte zusammen, was ich jemals über Transsexuelle gehört, gelesen oder im Fernsehen gesehen hatte. Große psychische Probleme, Haß auf den eigenen Körper, der Wunsch nach einer Operation, Abschottung in irgendeinem Refugium, wo sie das andere Geschlecht ausleben konnten. Das Haus in Lückerath. Diepeschrath hatte in dieser einsamen Dachkammer sein Frauendasein erprobt. Er hatte Fotos von sich selbst gemacht, um sich sein Dasein als Frau auch optisch zu bestätigen. Und die historischen Romane in Gerd Diepeschraths Zimmer. Gerd/Katharina lebte anscheinend ein zweites Leben in der Vergangenheit…
»Ließ Ihr Vater Sie nicht Sie selbst sein?«
Diepeschrath lachte kurz.
»Was ist an diesem Abend passiert? Erzählen Sie es mir.«
»Warum wollen Sie das wissen?« sagte er, plötzlich aggressiv. »Sie wollen sich aufgeilen, stimmt’s? Sie steigen mir doch seit langem nach.«
»Was war mit Ihrem Vater? Wie kam er hierher? Und Sie? Sie waren an dem Abend doch angeblich mit Ihrem Onkel zusammen.«
»Mein Onkel und mein Vater. Die haben nicht verdient zu leben.«
»Ihr Vater war hier. An diesem Abend. Er hat sich mit Volker Becker getroffen. Wo kamen Sie her? Was wollten Sie hier?«
»Das hier ist mein Platz«, sagte Diepeschrath. »Hier, wo sie gestorben ist. Sie, die Unterdrückte. Katharina. Hier haben ihre Henkersknechte gesiegt. Wie sie sie schon genannt haben. Triene oder Treine. Sie, die stolze Katharina. Der Name hat etwas Stolzes, finden Sie nicht?«
»Ja, ja«, sagte ich in die Dunkelheit hinein.
»Ich komme hierher, seit ich von ihrer Geschichte hörte. Schon als Kind war ich oft hier. Ich kenne jeden Winkel. Es ist mein Platz, verstehen Sie? Hier haben sie sie verbrannt. Was ist mit ihrer Asche geschehen? Man wird sie hier verstreut haben. Und so lebt sie in jedem Baum, jedem Strauch fort. Und ich lebe hier, und ich bin sie. Verstehen Sie das nicht?«
Ich schöpfte Atem. Mir war klar, daß ich Zeit gewinnen mußte. Er mußte weiterreden.
»Wo sind Sie an dem Abend hergekommen? Waren Sie mit Ihrem Vater verabredet?«
Gerd
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