Flammentod
unter mir und aus der Luft, die mir um die Ohren sauste - einer Luft voller Frühlingsduft nach feuchter Erde und Laub. Längst hatte ich die Trommeln des Hexentanzplatzes hinter mir gelassen, und ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
Ich wußte noch nicht einmal, ob die Frau noch vor mir flüchtete. Ich war wie in einem Rausch. Auch wenn meine malträtierten Lungen schmerzten und mein Herz raste wie noch nie - ich konnte nicht mehr aufhören zu rennen. Mein Kopf schien klar zu sein, obwohl ich alle logischen Gedanken daraus verbannt hatte. Ich versuchte nicht zu ergründen, warum es plötzlich zwei Angelikas gab, und ich versuchte auch nicht herauszufinden, warum sich die eine Angelika anscheinend als Katharina ausgab. Nichts davon spielte sich in meinem Kopf ab. Mein Kopf war leer, frei von allem, und ich wußte nur eines: Ich mußte hinterher.
Irgendwann erreichte ich die Straße. Auf der einen Seite die Häuser, auf der anderen eine dunkle Wiese. Auf der Häuserseite ordentliche Straßenlampen wie Perlen auf einer Schnur. Sie gaben Licht, doch dieses Licht unterstrich die Ödnis der Gegend nur noch mehr.
Ich war so außer Atem, daß ich fürchtete, mein Kreislauf würde schlappmachen. Der Schweiß strömte mir über das Gesicht. Ich beugte mich vor, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, und legte Bruchmanns Taschenlampe auf den Asphalt. Als ich mich wieder aufrichtete, stand die Frau keine drei Meter von mir entfernt mitten auf der Straße und sah mich an. Immer noch wummerte in der Ferne die Musik von der Maifeier durch die Nacht.
Die Frau besaß dieselben dunklen Haare wie Angelika Diepeschrath, dieselbe Größe wie sie und dieselben dunklen Augen. Sie trug normale Kleidung, keines dieser hellen Hexengewänder. Einen dunklen Pullover, einen hellen Rock, der bis zu den Knien reichte, und flache Schuhe. Ich sah, daß sie lächelte. Als ich einen Schritt nach vorne machte, wich sie zurück.
»Komm«, flüsterte sie mit einer eigenartigen Stimme, die wie das Rascheln von trockenem Laub klang. »Komm. Wir wollen Beltaine feiern.«
Sie drehte sich um und lief davon. Ich fragte mich, wie eine Frau so sportlich sein konnte. Die Antwort fiel mir fast gleichzeitig ein: Schließlich besuchte sie ein Fitneßstudio. Ich schleppte mich zum Wagen und sah gerade noch, wie sie um die Ecke verschwand. Ich schloß hektisch den Golf auf, ließ den Motor an und folgte ihr. Als ich ebenfalls nach links einbog, löste sich gerade ein Kleinwagen aus einer Parklücke und fuhr den Berg hinab. Es war ein Ford Fiesta. Angelika Diepeschraths Auto.
Sie nahm einen anderen Weg als den, den wir gekommen waren. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren. Irgendwann erkannte ich an den Häusern, daß wir uns in Hoffnungsthal befanden, und dann kamen wir auf die Hauptstraße, die den Lüderich entlang nach Overath führte.
Ich kramte mein Handy hervor, stellte es mit einer Hand an und wählte den Speicherplatz von Juttas Nummer. Sie war nicht zu erreichen. Wahrscheinlich beobachtete sie immer noch mit Bruchmann die Hexen und hatte das Handy ausgeschaltet. Ich konnte es nicht ändern.
In Untereschbach bog Angelika Diepeschrath in Richtung Bensberg ab. Um dranzubleiben, wagte ich an der Ampelkreuzung ein gewagtes Linksabbiegemanöver, als es mindestens Orange war. Gehupe ertönte, verebbte aber schnell hinter mir.
Der Ford Fiesta schien schneller zu sein als Mannis Golf, und so schaffte es Angelika, einen großen Abstand zwischen uns zu bekommen. Ich schaltete vom fünften in den vierten Gang; der Motor heulte auf, und ich spürte förmlich, wie der Diesel versuchte. Fahrt zu machen, aber es hatte keinen Zweck. Ich drohte sie zu verlieren. Gleichzeitig überlegte ich fieberhaft, wo sie wohl hinfahren würde. Nach Hause? Eine Minute später wußte ich es besser: Ich konnte gerade noch erkennen, daß sie die Abzweigung nach Moitzfeld rechts liegenließ.
Die Nadel auf dem Tacho erreichte die 140, als ich nach Bensberg hineinkam und die beleuchteten Türme des Schlosses erschienen. Ich drosselte die Geschwindigkeit; es hatte keinen Zweck, wie ein Irrer durch die Stadt zu rasen. Dann kam ich an einer roten Ampel zum Stehen. Der Fiesta war weg.
Wieder rief ich Jutta an, wieder kam nur die sterile Frauenstimme, die mir empfahl, es später noch einmal zu versuchen. Ich wollte den schwarzen Knochen gerade vor Ärger aus dem Fenster werfen, da ertönte die typische Handy-Melodie, und das Display leuchtete auf. Ich stand immer noch an der roten
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