Flammentod
Diepeschrath lachte wieder auf. »Was glauben Sie? Daß ich mit diesem Schwein auch nur ein Wort geredet hätte? Haben Sie jemals unser Haus gesehen?«
Ich erinnerte mich an den häßlichen Bunker im Frankenforst.
»Ich war ein kleines Kind und spielte im Sandkasten. Mein Vater machte die Terrassentür zu, so daß ich draußen blieb. Als er sie zwei Stunden später wieder öffnete, war meine Mutter verquollen und hatte blaue Flecken an den Armen. Das passierte im Sommer mindestens einmal in der Woche. Im Winter mußte ich dann in meinem Zimmer bleiben und habe alles durch die Wand gehört.«
»Trotzdem haben Sie es lange dort ausgehalten. Sie haben sogar in der Firma Ihres Vaters gearbeitet -«
»Mein Vater zwang mich. Ich versuchte, da wegzukommen. Ich wollte eigentlich Geschichte studieren …«
Er schwieg und schien nachzudenken.
»Dafür sind Sie begabt«, sagte ich. »So wie Sie die historischen Akten der Katharina Scheuer zitieren können.«
Diepeschrath ging nicht darauf ein. »Und dann habe ich Susanne kennengelernt. Sie hat mir den Job in der Salzmühle verschafft.«
»Sie hat gesagt, Sie seien befreundet. Ich meine, ein Paar …«
»Hat sie das? Das war einmal. Heute weiß ich es besser. Ich weiß, daß ich selbst eine Frau bin.«
»Wußte Ihr Vater das auch?«
»O ja, sogar zu gut. Er mußte es lernen - und kam dabei um.«
»Er kam um, weil er Sie als Frau kennengelernt hat?«
»Er kam um, weil er mich nach seiner Art wie eine Frau behandelt hat.«
»Er wollte Sie mißbrauchen?«
Diepeschrath seufzte, dann ging das Seufzen in ein hektisches Atmen über. Ich hörte, daß er herumlief und irgend etwas Schweres über den Boden schrammen ließ.
»Sie … fragen zu viel«, keuchte er. »Ich wußte, daß sie zu viel fragen würden. Sie haben mich schon so sehr bedrängt. Aber damit ist jetzt Schluß. Endgültig.«
»Was machen Sie da?«
»Das werden Sie gleich sehen.«
Wieder das schleifende Geräusch. Plastik auf Asphalt. Ein Glucksen. War es ein Eimer? Dann wurde mir klar, was es war. Diepeschrath schob einen Kanister heran. Plötzlich roch es nach Benzin. Der Schock nahm mir fast den Atem.
»Nein, tun Sie das nicht!«
»Sie flehen? Wie mag Katharina gefleht haben?«
»Ich habe nichts mit Katharina zu tun!«
»Sie sind ein Mann. Die Welt ist von den Männern männlich gemacht worden, obwohl es die Welt der Frauen ist. Verstehen Sie? Frauen sind die Schöpferinnen! Frauen besitzen die Weisheit! Die Welt ist eine Frau!«
Gerd Diepeschrath ging ein paar Schritte, dann spürte ich plötzlich Nässe auf meiner Brust. Kalte Nässe, die intensiv nach Benzin stank.
»Sie wollen es immer noch wissen, was?« rief er und schüttete weiter. »Ich war an dem Abend in Köln. Streifte durch die Straßen. Als Katharina. Als ich zurückkam, wollte ich noch etwas allein sein - hier. Ich ging an der Hauptstraße entlang, und ein Wagen hielt neben mir. Mein Vater stieg aus. Wissen Sie, was er dachte?«
Ich drehte das Gesicht zur Seite, um dem Benzin auszuweichen. Der Gestank drohte mir die Sinne zu rauben.
»Er hielt Sie für eine Frau.«
»Ich bin eine Frau.«
»Er hat Sie nicht erkannt?«
»Erst dachte er, ich sei Mutter. Er hielt mit dem Wagen an und sagte erstaunt: ›Angelika?‹.« Gerd Diepeschrath lachte irre. »Ist das nicht lächerlich?«
»Was ist dann passiert?«
»Er merkte, daß ich jemand anders war. Eine Frau eben, die abends allein unterwegs war. Und er grabschte mich an. Er hielt mich fest.«
Ich registrierte, daß er aufgehört hatte, mich mit Benzin zu übergießen. »Und dann?«
»Und dann, und dann«, äffte er mich nach. »Ich hab’s ja gesagt, Sie wollen sich aufgeilen … Wie er. Das konnte er haben. Ich bin mit ihm in den Wald gegangen.« Er lachte irre auf. »Er wußte nicht, daß er damit in meiner Gewalt war.«
Ich stellte mir die Szene vor. Der verhaßte Vater, der seinen eigenen Sohn nicht erkennt, weil er als Frau verkleidet ist. Der verhaßte Vater, der eine schutzlose Frau vermutet. Eine Frau, die auch noch seinem Typ entspricht, denn sie ähnelt seiner Ehefrau. Der Sohn, der sich in seiner Existenz als Frau endlich als das Individuum begreift, das er ist, und sich entsprechend stark fühlt. Der Sohn, in dem sich der gesamte Haß von Jahrzehnten auf einen Schlag entlädt. Das Zusammentreffen war Zufall gewesen, aber trotzdem war Diepeschrath in eine Falle gegangen.
»Und Sie haben ihn erwürgt?«
»Mit seinem eigenen Gürtel. Er hat ihn mir netterweise selbst
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