Flammentod
Ampel.
»Rott.«
»Radermacher.«
»Wer?«
»Frau Dr. Radermacher. Das Epithel der Gans - erinnern Sie sich nicht?«
»Ja, doch.« Ich starrte auf die Ampel und hatte das Gefühl, mir würde ein Hummelschwarm durch die Adern fließen. Wann wurde das Ding endlich grün?
»Störe ich Sie bei irgendwas? Sie klingen so ungehalten.«
»Kein Problem. Ich bin nur gerade im Einsatz.«
»Ich fasse mich kurz. Ich habe noch mal über diesen seltsamen Begriff nachgedacht. Und mir ist eine Idee gekommen.«
In Zeitlupe gesellte sich zu dem roten Licht das gelbe, und noch bevor es Grün wurde, trat ich das Gaspedal durch.
»Und - was glauben Sie, was sich dahinter verbirgt?«
»Könnte es sein, daß es nicht das ›Epithel der Gans‹ heißt, sondern das »›Epithel der Glans‹?«
»Wie bitte? Ich verstehe sie nicht. Einen Moment.« Ich fuhr rechts ran, um besser telefonieren zu können. Angelika war sowieso weg, und ich hatte keine Ahnung, wo ich hinfahren sollte.
»Glans. Mit einem ›l‹.«
»Und was ist das?«
Frau Dr. Radermacher lachte.
»Sagen Sie schon!« beharrte ich.
»Als Glans bezeichnen Mediziner einen Teil des männlichen Geschlechtsorgans. «
»Was?«
»Genauer gesagt - den vorderen verdickten Teil. Im Volksmund auch Eichel genannt.«
»Eichel im Volksmund. Nettes Bild. Und was kann das bedeuten?«
»Wie Sie schon vermuteten: Sie werden wohl einen medizinischen Bericht vor sich gehabt haben. Nach dem, was Sie gesagt haben, ist es doch dabei auch um Sex gegangen. Das heißt, ich liege mit dem Verdacht, daß es um die Glans ging, gar nicht so falsch.«
»Hm.«
»Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter. Ich dachte, ich sage es Ihnen mal einfach. Und Ihnen geht es weiterhin gut?«
»Ja, ja, mir geht es bestens.« Ich starrte auf die neonbeleuchtete Straße vor mir und versuchte, die Information in die vorhandenen Puzzleteile einzupassen. Ohne Erfolg.
»In welchem Zusammenhang schreibt man denn über so etwas als Mediziner?« fragte ich.
»In Operationsberichten zum Beispiel.«
Operationsberichte …
In meinem Kopf drehte sich ein Räderwerk. Operationen. Sex. Beltaine feiern. Die Frau, die ich verfolgte, floh vielleicht gar nicht vor mir. Sie lockte mich. Wohin? Es gab nur einen Ort, der in Frage kam. Und er war ganz nah …
»Vielen Dank«, rief ich ins Telefon. »Sie haben mir sehr geholfen.«
Ohne zu schauen oder zu blinken, fuhr ich auf die Straße zurück und raste davon. Nur von Ferne sah ich die Lichthupe eines Lkw, der mich beinahe gerammt hätte.
Der grüne Ford Fiesta stand zwischen den Lastern auf dem Seitenstreifen. Ich fuhr weiter durch bis zu dem Wanderparkplatz, drehte und quetschte mich noch hinter den Fiesta. Ich stieg aus und stand sofort im tosenden Lärm der nahen Autobahn. Hier unten in Bergisch Gladbach war es deutlich wärmer als auf dem Lüderich. Dafür stank die Luft mehr nach Abgasen.
Ich kletterte über die Leitplanke und ging den Zaun entlang bis zu der Metalltür. Sie stand weit offen.
»Hallo?« rief ich in das dunkle Loch hinein, doch es kam keine Antwort.
Verdammt, du tappst mitten in die schönste Falle, dachte ich und tastete nervös nach meiner Neunmillimeter.
»Wo sind Sie?« rief ich.
Ich machte einen Schritt in den Wald. Alles wirkte verlassen.
Was sollte ich tun? Die Polizei anrufen und den Bullen eine irre Theorie auftischen? Sie den Wald absuchen lassen - vielleicht für nichts und wieder nichts?
Genau so ist Achim Diepeschrath auch in die Falle gegangen, sagte die eine Seite in mir. Mach es nicht.
Aber er war nicht gewarnt, sagte die andere. Du bist gewarnt und kannst dich schützen.
Ehe ich noch die beiden Seiten abgewogen hatte, lag die Metalltür schon hinter mir. Ich umschritt die Erdanhäufung dahinter und kam wieder auf den Asphaltweg, der als Rennweg in der Karte eingetragen war und in Richtung des Hexenteichs führte.
Vor mir lag nichts als Schwärze. Wenn ich mich anstrengte, konnte ich jedoch schemenhaft vor noch dunklerem Hintergrund die vorderen Bäume erkennen. Der stete Lärm von der Autobahn umgab mich wie ein Mantel. Stille wäre mir lieber gewesen - denn was immer dort auf mich lauerte, es machte Geräusche wie ich. So aber war ich praktisch taub.
Ich schaltete Bruchmanns Taschenlampe ein und marschierte den Weg entlang. Nach einer Weile hörte ich leises Gluckern, und der Lichtkegel der Lampe traf auf betonierte Seitenbegrenzungen. Ich befand mich auf der Brücke, wo man Achim Diepeschrath gefunden hatte. Mir kroch
Weitere Kostenlose Bücher