Flammentod
trotzdem nicht. Ich blieb vor dem Eingang stehen und lauschte den Vögeln, die in den Bäumen zwitscherten. Nach ein paar Minuten ging ich auf und ab, um mir die Beine zu vertreten. Niemand war zu sehen. Ich überlegte, ob ich ein zweites Mal klingeln sollte. Dann ließ ich es doch. Vielleicht hatte sich Frau Kürten zu Fuß auf den Weg zum Eingang gemacht. In dieser Gegend waren die Leute sicher sehr mißtrauisch.
Ich zündete mir eine Zigarette an und ließ meinen Blick die dunkle Mauer entlangschweifen. Es dauerte eine Weile, bis ich die Videokamera entdeckte, die ziemlich weit oben am Stamm einer Birke befestigt war. Die Linse zielte genau auf die Stelle vor dem Eingang.
Ein merkwürdiges Gefühl kroch in mir hoch. Ich dachte bereits daran, wieder zu gehen, da krachte es, und die Stimme kehrte zurück.
»Was wollen Sie wissen?« fragte sie.
»Äh - Frau Kürten, also ich glaube, das sollte man nicht auf der Straße besprechen. Wäre es nicht besser, wenn ich hineinkommen dürfte? Ich störe Sie auch nicht lange.«
Frau Kürten ging nicht darauf ein. »Hat man diesen Becker endlich verhaftet? Diesen Kommunisten?«
»Frau Kürten, ich -«
»Schützen Sie uns vor solchen Chaoten wie diesem Becker, junger Mann. Und belästigen Sie ehrbare Menschen nicht weiter.«
Es knackte wieder. Ich streckte den Arm aus, um noch mal zu klingeln, da hörte ich ein anderes Geräusch. Ein Wagen näherte sich.
Ich drehte mich um und blickte die Parkstraße entlang. Das Auto war eins von der Art, die man kilometerweit erkennt. Es war eine Polizeistreife. Zum Glück rollte sie langsam heran, und sie war noch ziemlich weit weg. Immerhin blieb mir ungefähr eine Sekunde Zeit, um zu überlegen, was ich tun sollte.
Ich überdachte Vogts Hinweis, diskret zu ermitteln. Und ich dachte auch an den Staatsanwalt, der offenbar ein passionierter Demonstrantenjäger war. Dann zog ich in Erwägung, daß ich mich gerade der Amtsanmaßung schuldig gemacht hatte. Darauf folgte der Entschluß: schneller Rückzug!
Ich ließ die Zigarette fallen und ging rasch weiter. Nach wenigen Schritten führte die Straße auf einen kleinen Platz. In der Mitte gab es ein Rondell mit Rasen und gepflegten Büschen. Ich überlegte kurz, ob ich mich dort verstecken sollte, doch das war zu gefährlich. Erstens hätte ich praktisch in der Falle gesessen, und zweitens wäre das zu auffällig gewesen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß aus den prächtigen Villen ringsherum tausend Augen auf mich gerichtet waren. So ging ich um den Platz herum, bis ich zu einer weiteren Querstraße kam.
Als ich um die Ecke war, riskierte ich einen Blick zurück. Der Polizeiwagen hatte das Tor des Kürten-Anwesens erreicht. Zwei Beamte stiegen aus. Der eine klingelte, und der andere bückte sich. Er hatte meine brennende Zigarettenkippe gesehen und hob sie auf. Ich mußte grinsen. Die Beamten nahmen es ja sehr genau mit der Spurensuche. Sein Kollege schien sich bereits mit Frau Kürten zu unterhalten. Mit Sicherheit hatte sie durch ihre Videokamera gesehen, in welche Richtung ich abgehauen war. Beide Polizisten blickten plötzlich zu mir hin und stiegen eilig wieder in den Wagen.
Ich folgte weiter der Straße. Wieder kam mir eine Kinderschar entgegen, und nun wurde mir auch klar, warum. Die Straße mündete auf eine Straßenbahnhaltestelle. Und ich hatte Glück: Gerade hielt eine Bahn. Ich überlegte nicht lange und stieg ein. Als sie anfuhr, kamen die beiden Beamten am Bahnsteig an und sahen sich suchend um.
Ich fuhr nur zwei Stationen. An der Haltestelle gab es einen kleinen Park-and-Ride-Platz und einen Kiosk, wo ich mir eine Cola genehmigte und frische Zigaretten kaufte. Nirgendwo war Polizei zu sehen. Frau Kürten hatte die Freunde und Helfer wohl nicht zu einer Ringfahndung überreden können.
Mein Auto konnten sie sicher nicht identifizieren. So wartete ich eine Weile, konsultierte den Stadtplan und marschierte nicht zu schnell und nicht zu langsam an der Bahn entlang in das Villenviertel zurück. Den Teil der Parkstraße, wo die Kürtens wohnten, umging ich großräumig. Ich ließ mir viel Zeit. Um halb fünf war ich wieder am Wagen. Ich sah zu, daß ich möglichst schnell wegkam, und hielt erst wieder an, als die Gegend etwas unansehnlicher geworden war. Schon am Rande von Frankenforst gab es keine großzügigen Villen mehr, sondern ockerfarbene Reihenhäuschen mit ärmlichen Rasenstückchen davor. Hier war Leben auf der Straße: In einer Einfahrt reparierten zwei
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