Flammenzungen
verbarg er ja auch recht gut. Oder seine Freunde von der Arischen Bruderschaft hatten ihn aus dem Knast rausgeboxt.
Am Ende entpuppte er sich als FBI-Agent, der ins Gefängnis eingeschleust worden war, um The Brand zu infiltrieren. Angeblich ein Verbrecher - in Wahrheit ein Held. „Warum gibt es so etwas nur in Romanen und Filmen?“, fragte sich Amy laut, stellte den Saft zurück und schloss den Kühlschrank. Grübelnd kaute sie auf der Innenseite ihrer Wange.
Ihr Blick fiel auf ihre Arbeitstasche, die auf einem der Küchenstühle lag. Mr Beattys Worte hallten in ihrem Kopf wider: „Lesen Sie keine Zeitungen?“ Sie zog ihren Laptop heraus, stellte ihn auf den Tisch und setzte sich so, dass sie die Vordertür durch das Shotgun House hindurch sehen konnte. So ein Haus hatte eben auch seine Vorteile! Sollte Lorcan zurückkehren, hätte sie genügend Zeit, den Rechner zu schließen, sodass er nicht sah, dass sie seinen Namen in diverse Suchmaschinen eingab. Zahlreiche Einträge erschienen. Sie stieß auf die URL www.buckleymacconmara.com , aber die Website war deaktiviert worden. Gleich darunter fand sie den Link, der zu einem Immobilienmakler mit dem Namen Buckley führte. Hatte das etwas zu bedeuten, oder handelte es sich um einen Zufall? Sie klickte sich durch einige Seiten und entdeckte einen Artikel in der Onlineaus- gabe einer Manager-Zeitschrift:
Gestern Abend kürten die Wirtschaftsmagazine der USA Gavin Buckley zum erfolgreichsten Jungunter nehmer des Jahres. Gemeinsam mit seinem Geschäfts partner Lorcan MacConmara gründete Buckley vor sechzehn Monaten in New Orleans die Immobilien firma Buckley MacConmara. Durch ein hohes Maß an Engagement, fundiertes Fachwissen und Feinge fühl beim Umgang mit Klienten verzeichnete das Un ternehmen den rasantesten Zuwachs unter den neu gegründeten Firmen in Louisiana. Die Gala fand im Ramada Plaza auf der Bourbon Street statt. Anwe send waren neben seinem Partner und seiner Ehefrau Kimora Buckley auch zahlreiche Vertreter führender Firmen aus dem Mississippidelta.
Der Artikel war anderthalb Jahre alt. Amy las ihn ein zweites Mal und schüttelte fassungslos den Kopf. Lorcan war offenbar der Mitinhaber eines aufstrebenden Unternehmens gewesen. Vor nicht allzu langer Zeit und dennoch in einem anderen Leben. Er schien von der Sonnen- auf die Schattenseite gewechselt zu haben. Etwas Furchtbares musste so einen tiefen Fall ausgelöst haben. Aber was?
Anscheinend hatte Lorcan alles verloren. Seine Teilhaberschaft, seine Wohnung, seine Freunde. Warum hatte er Gavin Buckley nicht um Hilfe gebeten, nachdem er aus der Untersuchungshaft entlassen worden war?
„Womöglich hat er Unterstützung bei ihm gesucht“, murmelte sie, „aber er bekam sie nicht.“ Weil Lorcan noch mehr eingebüßt hatte: seinen Ruf und sein Ansehen.
Der Orangensaft gärte in ihr. Ein dunkles Gefühl breitete sich in ihr aus. Eventuell konnte er Gavin auch nicht mehr bitten, ihm während seiner Rehabilitierung beizustehen, weil sein Partner tot war.
Wie eine Stimme aus dem Off hörte sie Mr Beatty erneut sagen: „Typen wie er lächeln einem ins Gesicht, und wenn man sich rumdreht, stechen sie einem ein Messer in den Rücken.“
Amy konnte nachempfinden, wie unwohl sich Lorcan auf der Preisverleihung gefühlt haben musste. Gewiss hatte es ihn verletzt und gedemütigt, dass sein Partner diese Auszeichnung bekam und er nicht, obwohl sie die Firma gemeinsam führten. Hatte diese Schmach an seinem Stolz gekratzt? War er auf der Gala beinahe an seiner Wut erstickt? Hatte er seinem Freund gratuliert, ihm aber später eine Klinge zwischen die Schulterblätter gestoßen?
Amy musste unbedingt wissen, wer sich hinter der Immobilienfirma Buckley - ohne den Zusatz MacConmara - verbarg. Hatte Gavin eine neue Firma gegründet? Oder führte seine Frau Kimora die Geschäfte allein fort, weil ihr Mann in einem Sarg lag und verrottete?
Als sie den Link anklicken wollte, schwang die Hintertür auf. Amy erschrak fast zu Tode. Sie zuckte zusammen und spürte, wie die Farbe aus ihren Wangen wich. Ihr Herz schlug hart in ihrem Brustkorb. Keuchend drückte sie ihre Handflächen auf die Stelle, unter der es heftig pochte.
„Habe ich dich erschreckt?“ Lorcan blieb im Eingang stehen und hob seine Brauen. Er sah sie ernst und auch ein wenig argwöhnisch an.
Verlegen kicherte Amy, klappte eilig ihr Notebook zu und sah auf die Uhr. „So spät schon? Ich habe beim Surfen die Zeit vergessen.“
Er legte
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