Flammenzungen
Einkaufswagens so fest, dass ihre Handgelenke wehtaten. Er hatte recht. In einem hitzigen Gespräch hatte sie Lorcan davon zu überzeugen versucht, den Indianer wegen tätlichen Angriffs anzuzeigen, doch er hatte keinen Sinn darin gesehen.
„Zwei Penner, die sich prügeln, interessieren die Cops für gewöhnlich nicht mehr als der Dreck unter ihren Fingernägeln“, hatte er gemeint.
Es sah danach aus, als würde der Indianer ungestraft davonkommen. Das machte sie sauer. Es war ungerecht. Auch ein Wohnungsloser wie Lorcan hatte Gerechtigkeit verdient. Wer wusste schon, was der bullige Kerl beim nächsten Mal anstellte, wenn er betrunken war? Vielleicht überfiel er eine junge Frau und vergewaltigte sie. „Dann hole ich das jetzt nach!“, warf sie ihm entgegen und meinte die Anzeige bei der Polizei.
Jegliche Farbe wich aus seinem Gesicht. Er griff nach dem Wagen, als wollte er verhindern, dass Amy wegging, um einen Wachmann zu holen. „Das würde Ihrem neuen Freund gar nicht gefallen.“
„Wie bitte?“
„Die Cops würden Lorcan gleich mit einkassieren, so machen sie es immer.“ Er lehnte sich vor, stützte sich auf dem Wagen ab und dämpfte seine Stimme. „Sie werden behaupten, wir wären beide besoffen gewesen, und uns einsperren.“ „Ich werde für ihn aussagen. Er war absolut nüchtern in dieser Nacht, während Ihr Atem nach Alkohol stank.“ „Das war doch nur ... Das gehört doch mit... Ach Mist!“ Er richtete sich auf. Dann fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare, löste dabei den Schnürsenkel und schüttelte seinen Schopf. „Ich werde nicht für ihn ins Kittchen zurückgehen, sagen Sie ihm das. Meine Schulden bei ihm sind beglichen. Jetzt muss jeder selbst sehen, wie er durchkommt.“ „Wovon reden Sie?“ Da er zögerte, stellte sie sich vor ihn und bemühte sich, mutiger aufzutreten, als sie sich innerlich fühlte. Immerhin konnte er sie mit einem Schlag zu Boden schicken. „Sagen Sie schon.“
Er sah zerknirscht aus. Seine Kiefer mahlten. Von Nahem roch er penetrant nach Schweiß. Amy fragte sich, ob der Strickpulli, den er trug, derselbe war wie in der Nacht, als er Lorcan vermöbelt hatte. Sie konnte sich nicht erinnern.
Er steckte das giftgrüne Band in die Hosentasche. „Wussten Sie, dass man Boxen als Fitnesssport betreiben kann? Ist das nicht verrückt? Diese Reichen denken sich immer wieder etwas Neues aus, um sich gegenseitig das Geld aus der Tasche zu ziehen und sich nicht zu langweilen. Aerobic, Yoga, Pilates, Poledancing, bei dem ganzen Frauenkram wollten wohl auch die Männer mal was anderes Gewichtestemmen und Joggen ausprobieren. Also hat irgendeiner damit angefangen, reiche Typen auf Sandsäcke schlagen zu lassen, ihnen ein paar Tricks und Kniffe beigebracht und Kohle dafür kassiert.“
„Ich wusste gar nicht, dass Sie so geschwätzig sein können“, bemerkte sie spitz. „Kommen Sie auf den Punkt.“ „Lorcan war einer dieser gelangweilten Snobs.“ Er zwinkerte. „Bevor er hinter schwedische Gardinen kam, natürlich.“
Ihre Augen weiteten sich. „Wollen Sie damit andeuten, dass er ein Boxer ist?“ Wie in Zeitlupe entfaltete sich die Tragweite dieser Neuigkeit vor ihr. In der Erinnerung sah sie, wie der Hüne auf Lorcan eindrosch und dieser sich nicht wehrte. Im Nachhinein fand sie, dass er sich recht schnell von seinen Blessuren erholt hatte. Noch in derselben Nacht hatten sie problemlos miteinander schlafen können. Was hatte das zu bedeuten?
„Scheint so, als hätte er schon in seinem alten Leben nicht viele Freunde gehabt, denn er muss verdammt viel trainiert haben, um so gut zu werden.“
„Aber Sie sind besser.“ Amy schnaubte. „Das wollten Sie ihm beweisen. So ist es doch.“
„Nein, Missy, leider nicht. Ich habe mit ihm im Jefferson Parish Correctional gesessen. Die Insassen haben dort einen provisorischen Ring errichtet. Ich habe gegen ihn verloren. Dabei glaubte ich, tougher zu sein als er, weil ich auf der Straße schon so einigen Scheiß erlebt habe. Wer hätte das gedacht? Weil wir nichts besaßen, was wir als Einsatz nehmen konnten, haben wir um einen Gefallen gekämpft. Den hat er in der Nacht, als Sie beide ...“, er zwinkerte, „Freunde wurden, eingelöst. Jetzt bin ich frei, kann mich aber im Asyl nicht mehr blicken lassen.“
Das klang alles zu unglaublich, um wahr zu sein. Es war so fernab ihres Alltags. Aber ihr Gegenüber machte ein ernstes Gesicht. Er schien die Wahrheit zu sagen, um seine Haut zu
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