Flammenzungen
Gedanke empfand Amy als abwegig.
„Nein, so ist Kimora nicht. Sie ist keine Schlampe. Aber sie ist eine begehrenswerte Frau und hat als Malerin viele Fans in der Kunstszene.“ Er drehte sich zu ihr und legte den Ellbogen auf die Rückenlehne. „Bei unserer letzten Begegnung im Louis Armstrong Park telefonierte sie mit einem Mann und klang aufgebracht.“
Wieso wechselte er ständig von der Vergangenheits- in die Gegenwartsform, wenn er von ihr sprach? Amy kam das langsam verdächtig vor. Oder wollte er nicht wahrhaben, dass sie tot war? „Doch sicherlich mit Gavin.“
„Vermutlich. Kimora hatte sich damals gerade eine Auszeit von ihrer Ehe genommen. Mit wem auch immer sie telefonierte, derjenige bedrängte sie massiv.“
Mit Besorgnis beobachtete sie, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten. Seine Aggressivität kehrte zurück. Er hatte sein Tief überwunden und wirkte nicht mehr niedergeschlagen, sondern saß aufrecht da, angespannt und dennoch zu allem bereit, wie ein Gladiator vor einem Kampf in der Arena. War er in New Orleans geblieben, um Rache zu üben? Suchte er bei ihr nur ein Versteck, um unbehelligt und in Ruhe seinen Plan vorzubereiten? „Hast du meinen Revolver aus meiner Handtasche genommen?“
„Nein.“
„Ehrlich nicht?“
Sorgenfalten traten auf seine Stirn. „Ist er weg?“
„Ich muss ihn verlegt haben“, log sie.
„Du besitzt keinen Waffenschein, oder?“
Wollte er sie in die Ecke drängen? „Der Colt gehörte meinem Großvater.“
„Deswegen trägt man ihn doch nicht bei sich“
„Ich werde nicht zulassen, dass man mir noch einmal wehtut!“ Eindringlich sah sie ihn an. Hoffentlich hatte er die Warnung verstanden.
„Was meinst du damit?“
Sie wandte sich ab. „Ach nichts.“
Er griff sie bei den Schultern und drehte sie wieder zu sich. „Was ist dir passiert?“
Warum sollte sie es ihm nicht erzählen? Es würde ihm beweisen, dass sie durchaus in der Lage war, sich zu wehren. Kurz und knapp berichtete sie ihm von dem Tag des Überfalls.
„Oh mein Gott! Wenn ich den Kerl in die Finger kriegen würde ...“ Er zog sie in seine Arme und drückte sie fest an sich.
Wie gut sich seine Umarmung anfühlte! Wie männlich er roch! Außerdem hielt er sie fest und nicht Kimora. Sie stand nicht über den Dingen wie die Malerin, sondern sie war bodenständig und bei ihm. Außerdem liebte sie ihn, was Kimora nicht getan hatte. Wusste er das? Er musste es spüren. Aber empfand er ebenso? „Was dann?“
Er schob sie ein bisschen von sich fort, damit er sie ansehen konnte. Sein Gesicht bekam einen brutalen Ausdruck. „Dann könnte ich für nichts garantieren.“
Sie lächelte und ließ sich nur allzu gern von ihm küssen, aber sein Kuss schmeckte nicht so süß wie sonst. Denn sosehr sein Beschützerinstinkt ihr gefiel, so sehr fragte sie sich, ob er nicht doch ihre Handfeuerwaffe genommen hatte, um damit Rache zu üben für das, was man ihm und Kimora angetan hatte.
20. KAPITEL
Januar dieses Jahres
New Orleans, Buckley MacConmara
Wie ein Einbrecher drückte sich Lorcan mit dem Rücken gegen die Wand seines Büros und linste durch den Türspalt hinaus in den Flur.
„Bitte treten Sie ein.“ Gavin hielt zwei Polizisten die Tür zum kleineren der beiden Konferenzräume von Buckley MacConmara auf. „Hier drin können wir in Ruhe reden.“
Verstohlen schaute der ältere der beiden Cops über seine Schulter, sodass Lorcan zurückwich, damit sie ihn nicht entdeckten. Als er wieder in den Korridor spähte, waren sie verschwunden, und die Tür zum Meeting-Raum glitt gerade ins Schloss. Was wollte das NOPD hier? Überbrachten sie Gavin gerade die traurige Nachricht, dass er Kimoras Leiche abholen lassen konnte, sobald der Gerichtsmediziner sie untersucht hatte?
Lorcan ging zum Fenster und schaute hinaus. Das Auto mit dem Schriftzug New Orleans Police parkte am Straßenrand vor der Immobilienfirma und erregte bereits Aufmerksamkeit. Passanten blickten zuerst zum Wagen, dann zum Gebäude und tuschelten.
Früher war er so naiv gewesen zu glauben, den freundlichen Polizisten aus dem Video für Verkehrsunterricht, das er als Schüler in der Grundschule gesehen hatte, würde es wirklich geben. Doch seit Kimoras Verschwinden vor acht Tagen hatten Vertreter des Police Department ihn so oft verhört, dass er sie nur noch „scheiß Bullen“ nannte.
Sie waren unfähig, auf die einfachsten Fragen Antworten zu finden. Wie konnte zum Beispiel jemand aus einem
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